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Reise in das strahlende Herz der Finsternis

geschrieben von  Thomas Veser (Text und Bild)

Dass der Uranabbau in besonderem Masse Mensch und Umwelt schädigt, ist keine neue Erkenntnis. Dennoch denkt die Regierung der Demokratischen Republik Kongo ernsthaft über eine Wiederaufnahme des verbotenen Uranabaus nach.

„Ein leerer Strom, eine grosse Stille, ein undurchdringlicher Wald“ – so beschrieb der Schriftsteller Joseph Conrad  in seiner Erzählung „Das Herz der Finsternis“ ein Landschaftsbild, wie es sich im Kongobecken noch heute bietet. Während des zweistündigen Fluges von der Hauptstadt Kinshasa nach Lubumbashi, Hauptort der rohstoffreichen Provinz Katanga im Südwesten der Demokratischen Republik Kongo, erstreckt sich wie ein tiefgrüner Teppich bis zum Horizont dichter Flachland-Regenwald. Er wird durchflossen vom rostroten Kongo-Fluss, der sich in gewaltigen Schleifen über fast 4400 Kilometer bis zu seinem Mündungsgebiet an der Atlantikküste windet.

Die Demokratische Republik Kongo ist ausgesprochen reich an Rohstoffen. im Südosten findet sich auch Uran.


Inzwischen in vier neue Provinzen aufgeteilt, besteht Katanga überwiegend aus Savannenflächen. Beim Anflug auf Lubumbashi fällt der Blick bisweilen auf eine zerwühlte, durchlöcherte Landschaft mit Industrieanlagen, darunter Fördertürme, Schornsteine, Verhüttungswerke sowie eine gigantische Abraumhalde aus über 14 Millionen Tonnen Bergbau-Schlacke. „Le Terril de Lubumbashi“ ist heute Wahrzeichen dieser Provinz, flächenmässig so gross wie Westeuropa und einstmals „Ruhrgebiet Afrikas“ genannt.

Fördertürme und Verhüttungsanlagen in Katanga

 

Bergbau in Skinkolobwe zur Kolonialzeit (Bild: Archiv)


Eine „geologische Unerhörtheit“
Dass in ihrem Erdboden die dichtesten und reinsten Metallvorkommen weltweit schlummern, hatte der belgische Geologe Jules Cornet gegen Ende des 19.Jahrhunderts bei Erkundigungen festgestellt. Angesichts der grossen Vielfalt und Mengen sprach er von einer „geologischen Unerhörtheit“. In einem ausgedehnten Bergbaugürtel, der sich bis nach Sambia hinein erstreckt, folgt eine Kupfer- und Kobaltmine auf die andere. Auch weitere Metalle und Mineralien sind in den Erzen enthalten, etwa Nickel, Wolfram, Silber sowie Seltene Erden. Und auch Uran, das in kleineren Mengen hauptsächlich in Kupfer-, Kobalt- und Nickelerzen vorkommt.
Die grössten Uran-Vorkommen liegen weiter nordwestlich. Als die mit Abstand weltweit reichste Lagerstätte gilt der Ort Shinkolobwe, etwa 150 Kilometer von Lubumbashi entfernt. Dort war dem englischen Geologen Robert Sharp 1915 auf der Suche nach Kupferlagern auf einem Hügel die in verschiedenen und kräftigen Farben strahlende Erdoberfläche aufgefallen. Eine Analyse brachte zutage, dass es sich um Erze mit einer sehr hohen Urankonzentration von 65 Prozent handelte. Weltweit beträgt dieser Anteil durchschnittlich nur 0,15 Prozent.

Als Shinkolobwe Weltgeschichte schrieb
Sharp witterte ein grosses Geschäft, aber es sollte anders kommen. Radium als Uran-Nebenprodukt wurde damals in der Krebsbehandlung eingesetzt, zudem fand Uran als Glasurfarbstoff in der Keramikindustrie Verwendung. Dennoch blieb die Nachfrage bescheiden und die 1922 im Tagebau eröffnete Mine machte nach einem Einbruch der Uranpreise 1937 dicht und blieb auf gut 1700 Tonnen geförderten Uranerzes sitzen. Gelagert wurde das hoch radioaktive Material in Schuppen oder einfach im Freien. Auf die Instandhaltung der Entwässerungspumpen hatte man verzichtet, die Grube neben der toxischen Müllhalde füllte sich allmählich mit Wasser.

Grüner Malachit mit eingeschlossenem Uranophan


Shinkolobwe - „Die Frucht, die verbrüht“, wie der Ortsname auf  Deutsch bezeichnenderweise heisst, trat  im Zweiten Weltkrieg unvermittelt in die Weltgeschichte ein. Nach der Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn und Fritz Strassmann war der Weg für den Bau der ersten Atombombe bereitet. Um die Kettenreaktion auszulösen, benötigt man Plutonium, das aus Uran entsteht. Alleine zwischen 1943 und 1945 lieferte Belgisch-Kongo 8000 bis 10‘000 Tonnen hochgradigen Urans an die USA, die im „Manhattan Project“ den Bau der Vernichtungswaffe gegen Japan vorbereiteten. Mit den eigenen qualitativ schlechten Uranvorkommen wäre das nicht möglich gewesen. Ohne  Shinkolobwe hätte es 1945 vermutlich keine Atombombe gegeben.
Bis zur Unabhängigkeit 1960 wurden Uranerze abgebaut und exportiert, gut 60 Prozent des weltweiten Bedarfs stammten aus der ehemaligen belgischen Kolonie. Dann war vorläufig Schluss: Den Abbauschacht versiegelten die Belgier mit Beton, die Spitze des darüber liegende Hügels verschwand unter eine massiven Stahlbetonkappe.
Selbst diese Sicherung konnte die lokalen Kleinschürfer, die sich in Teams organisieren und deren Zahl landesweit auf etwa eine Million geschätzt wird, nicht davon abhalten, auf  der Suche nach Kupfer weiterhin Erze abzubauen. Sie arbeiteten sich mit einfachen Werkzeugen oft unter Lebensgefahr seitwärts in den Hügel hinein. Wie stark sich die Landschaft seither verändert hat, schildert der Schriftsteller und ehemalige BBC-Korrespondent Patrick Marnham in seinem Buch „Schlangentanz“ (Patrick Marnham . Schlangentanz: Reisen zu den Ursprüngen des Nuklearzeitalters. Übersetzt aus dem Englischen von Astrid Becker und Anne Emmert. Gebundene Ausgabe Berenberg Verlag 2015, 400 Seiten, 25 Euro.).

Kleinstschürfer: Ihre Zahl wird auf eine Million geschätzt.

Bergbau wie im Mittelalter: Von Hand


Der Autor  besuchte mit einem Filmteam die berühmteste und geheimste Uranmine der Welt 2013 mit einer offiziellen Erlaubnis, auf die er drei Jahre warten musste. Demnach ist der Hügel mittlerweile verschwunden, stattdessen umschliesst in der verwilderten Rodung ein etwa zwei Meter hoher Erdkranz einen zehn Meter tiefen Krater, an dessen Grund der ursprüngliche Uranminenschacht liegt. „Die Mine ist verfallen und überwuchert. Zwischen den Bäumen und dem hohen Gras rosten ein paar Stahltürme und Gerüste vor sich hin.“ Die Strahlenbelastung war Marnhams Schilderung zufolge noch immer so hoch, dass von einem mehr als 30-minütigen Aufenthalt entschieden abgeraten wurde.


Offenes „Sperrgebiet“
Offiziell ist die Gegend um das stillgelegte Bergwerk Sperrgebiet, für dessen Bewachung die Präsidentengarde zuständig war. Nach dem ersten Kongokrieg (1996-1997) und der anschliessenden Entmachtung des Diktators Mobutu wurde die Garde allerdings abgezogen. Dass Präsident Joseph Kabila 2004 den Bergbau in Shinkolobwe per Dekret erstmals verboten hatte, konnte die „creuseurs“ genannten Kleinschürfer nicht im Geringsten beeindrucken. Wie auch in anderen Bergbaugebieten des 65 Millionen Einwohner zählenden Landes arrangierten sie sich vor Ort mit korrupten Militärangehörigen, die sie gegen Zahlung von „Schutzgeldern“ weiterhin nach Kobalt, Nickel und Kupfer suchen liessen. Das geht auch aus dem Schlussbericht einer UN-Kommission hervor, die den Ort 2004 besuchte und die dortigen Zustände  als „anarchisch“ beschrieb.
Zu Schleuderpreisen verkauften die Bergleute ihre Ausbeute an Mittelsmänner, die damit zwielichtige Geschäftsleute belieferten. Dass die Fracht auf dunklen Kanälen entweder über Sambia oder Tansania am Zoll vorbei ins Ausland gebracht wurden, ist ein offenes Geheimnis. Wege und Ziele des illegalen Handels sind zwar nicht genau bekannt. Einiges spricht jedoch dafür, dass Nordkorea und der Iran auf diese Weise in den Besitz von Uran gekommen sind.
Denn es gibt keinen Zweifel, dass diese Schmuggelware auch uranhaltige Erze enthielt. Bei der chemischen Bearbeitung steigt der Kupfer- und Kobaltgehalt an, das Uran bleibt im Konzentrat erhalten. Somit erwirbt der Käufer nicht nur Kupfer- oder Kobaltkonzentrate, sondern auch Uran. Dieses kann später leicht von den Metallen getrennt werden.


Uran als oberstes Staatsgeheimnis
Dass der Bergbau sowohl für Mensch als auch Umwelt grösste Gefahren heraufbeschwört, ist inzwischen bewiesen. Wer jedoch in der Demokratischen Republik Kongo wagt, darauf öffentlich hinzuweisen, schwebt möglicherweise in Lebensgefahr. Diese Erfahrung machte auch der Menschenrechtsaktivist und Lehrer Golden Misabiko, der 2009 über illegale Uranminen berichtet und vor den Folgen einer Wiederaufnahme des in der DR Kongo offiziell verbotenen Uranabbaus gewarnt hatte (Wortlaut des Berichts auf www.kongo-kinshasa.de/dokumente/ngo/asadho_07209.pdf). Mit der Begründung, er gefährde die öffentliche Sicherheit, wurde Misabiko verhaftet, gefoltert und kam erst auf internationalen Druck zwei Monate später wieder frei. Er lebt heute in Südafrika getrennt von seiner Familie, die im Land bleiben musste.

Golden Misabiko: Der Umweltaktivist lebt heute, getrennt von seiner Familie, im südafrikanischen Exil.


Das Thema Uran bleibt in der DR Kongo Staatsgeheimnis Nummer eins. Misabiko hatte seinen Bericht veröffentlicht, nachdem er von einem geplanten Zusammentreffen der Regierung mit dem französischen Industriekonzern Areva Wind bekommen hatte. Das wichtigste Geschäftsfeld des auf dem Gebiet der Energieerzeugung tätigen Unternehmens ist die Nukleartechnik. Was genau bei diesem Treffen vereinbart wurde, ist bis heute Gegenstand heftiger Spekulationen. Gemäss Areva hatte die Regierung die Bewilligung erteilt, auf dem gesamten Staatsgebiet nach Uranlagerstätten zu suchen und diese als einziges Unternehmen auszubeuten. Aus Regierungskreisen hingegen verlautet bis heute, dass es sich hierbei lediglich um eine „Absichtserklärung“ gehandelt habe und andere Mitbewerber weiterhin im Spiel seien.


Mehr Umweltbelastung durch Uranminen
Wie dem auch sei – etliche Anzeichen deuten darauf hin, dass die Wiederaufnahme des Uranabbaus in der DR Kongo wohl nur eine Frage der Zeit ist. Es  ist kaum anzunehmen, dass sich die Regierung dieses lukrative Geschäft entgehen lässt. Weltweit nimmt der Bedarf an Uran für zivile Zwecke zu. Die heutige Produktionsmenge von jährlich 68‘000 Tonnen wird Prognosen zufolge bis 2030 auf  mehr als 93‘700 bis knapp 122‘000 Tonnen anwachsen. Auf der Suche nach dem begehrten Rohstoff eröffnen auch andere afrikanische Länder, darunter Niger (Westafrika) und das ostafrikanische Tansania attraktive Perspektiven (www.world-nuclear.org/information-library/country-profiles/others/uranium-in-africa.aspx)
„Man stösst praktisch in jeder Mine hierzulande auf  Uran“, bekräftigt der Anwalt Jean Claude Bako von der Menschenrechtsorganisation ASHADO. Zusätzliche Uranbergwerke in der DR Kongo würden die Gefahren für Menschen und Umwelt drastisch verschärfen. Bereits jetzt seien Grundwasser und Landwirtschaft durch radioaktive Rückstände, Schwermetalle und andere toxische Substanzen aus der Aufbereitung von Erzen in bedenklichem Mass belastet, fügt er hinzu. Das zusammen mit Uran auftretende Radon etwa kann beim Einatmen Lungenkrebs verursachen. „Aber diese Risiken sind den Menschen nicht bewusst“, klagt Jean Claude Bako, „um gegen die Armut anzukämpfen, werden sie weiterhin ohne die elementarsten Vorkehrungen zum Gesundheitsschutz Bergbau betreiben.“

Mehr Missbildungen und Krebs
Dass die Zahl der missgebildeten Neugeborenen in den letzten Jahren zugenommen habe, bestätigt Dr.Gabriel Kapya, der im Auftrag des grössten staatlichen Minenunternehmens Gécamines als Betriebsarzt und in der Poliklinik Nr.17 in Lubumbashi als Experte auf dem Gebiet der Früherkennung von Missbildungen tätig ist. „Nicht selten waren beide Elternteile über einen längeren Zeitraum radioaktiver Strahlung ausgesetzt. Als 2007 die Kupferpreise in die Höhe schossen, strömten zahllose illegale Schürfer in das Tagebaugelände Shinkolobwe“, erinnert er sich.
Gabriel Kapya befürchtet künftig zudem mehr Krebserkrankungen, die oftmals erst viele Jahre später ausbrechen. Das zeigt das Beispiel Tschernobyl. Zwei Jahrzehnte nach der Reaktorkatastrophe 1986 hatte man in den am stärksten betroffenen Regionen einen Anstieg der Krebskranken von 40 Prozent festgestellt.

 

Golden Misabiko ist Träger des Nuclear Free Award 2014. Hier der Link zur Würdigung des Aktivisten: http://www.nuclear-free-future.com/preistraeger/preistraegerinnen/golden-misabiko/

 



Medien

Mit seinem Film „Katanga Business“ von 2009 vermittelt der belgische Regisseur Thierry nicht nur einen Einblick in die gegenwärtige Situation der Rohstoffförderung in Katanga, sondern verdeutlicht auch die eigentlichen Aufgaben eines Dokumentarfilmers – Dokumentieren statt Kommentieren.