Woher der Wind weht

geschrieben von  Martin Arnold

Wind- und Sonnenergie erleben einen kräftigen Aufschwung. Aber auch andere nachhaltige Energiequellen werden immer ergiebiger. Wie sehr sie Atomstrom, Erdöl und Kohle ersetzen werden, hängt nicht von den technischen Möglichkeiten, sondern vom politischen Willen ab.

Der Wind treibt die Rotoren kräftig an. Seit dem Jahr 2000 sind die jährlichen Zuwachsraten für die Installationen zur Windenergiegewinnung weltweit um 25 Prozent und für die Solarstromgewinnung um 44 Prozent gestiegen. In der Europäischen Union nahm zwischen 2000 und 2013 Windenergie um 105 GW, Gas um 103 GW und Solarenergie um 80 GW zu, während die Produktion von Atomenergie auch in der EU deutlich sank. Immerhin: Aus Wind und Sonne wurden 2014 zusammen rund 15 Prozent des weltweit benötigten Stromes gewonnen. Alleine beim Wind betrug die Zunahme in eben diesem Jahr um rund 60 GW zu. Der Anteil der erneuerbaren Energien insgesamt ist inzwischen gar bei 22 Prozent, während die Kernenergie 10 Prozent des weltweit benötigten Stroms beisteuert. Spanien gewann 2013 aus Wind mit 21 Prozent mehr Strom als von jeder anderen Quelle. Es war ein symbolischer Durchbruch, denn noch nie wurde in einem Land eine der neuen erneuerbaren Energiequellen zum wichtigsten Stromlieferanten. Auch Brasilien, China, Indien und Japan produzieren immer mehr Strom aus erneuerbaren Quellen als aus Atomenergie. Deutschland hat den Anteil der Kernenergie vom historischen Hoch von fast 40 Prozent auf bereits unter 20 Prozent reduziert. 2014 flossen dafür 62 Prozent mehr Strom aus erneuerbaren Energiequellen in das Netz als von Atomkraftwerken. Alleine 2013 wurden laut dem Statusbericht des Renewable Energy Policy Network for the 21st Century (REN 21) 2014 weltweit mindestens 35 GW bei der Wasserkraft neu installiert. Die Internationale Energieagentur (IEA) rechnet bei der Stromproduktion durch Wasserkraft bis 2050 mit einer Verdoppelung der Leistung. Bereits heute beträgt der Beitrag der Wasserkraft zur weltweiten Energieproduktion 3,750 Terrawatt. Dennoch gibt es Länder, in denen der Ausstieg aus der Kernenergie etwas schwieriger würde. Dazu gehören Belgien, Slowakei, Ungarn, Ukraine, Schweden und die Schweiz. In diesen Ländern steuert die Kernenergie im Moment noch zwischen 35 und 55 Prozent der Stromproduktion bei. Und in Frankreich, wo mehr als 70 Prozent des Stroms aus der Kernkraft stammt, wird es wohl noch länger dauern. Die Geschäftsmodelle im Energiesektor verändern sich stark. Dabei geht es nicht nur um neue Energiequellen, sondern auch um die Veränderungen beim Versorgungssystem. An Stelle großer zentral gesteuerter Energieversorger könnten bald kleinere Produzenten treten. Dies analysieren Energieexperten, darunter jene von PricewaterhouseCoopers in ihrem 2013 veröffentlichten Bericht »Energy transformation – The impact on the power sector business model«. Er basiert auf einer umfassenden Umfrage in der Energie-Branche. Laut PricewaterhouseCoopers hängt das Ausmass der Bedrohung für die herkömmlichen Stromanbieter von den Kosten und der technologischen Einwicklung einer dezentralen Energieversorgung ab. Der rasante Aufstieg der erneuerbaren Energien sei bisher auch der staatlichen Förderung zu verdanken. Viele Befragten aus der Energiebranche glauben aber, dass sich der Zeitpunkt nähert, wo neue erneuerbare Energien ohne weitere Unterstützung konkurrenzfähig sind und einen großen Umbruch herbeiführen werden. Energieeffizienz, fallende Preise bei alternativen Energien und kleine Netzwerke werden laut PricewaterhouseCoopers den größten Einfluss auf die Energie-Industrie der Zukunft haben. Hinzu kämen neue Erschliessungstechniken fossiler Energieträger. Das in der Studie 2013 angesprochene Fracking ist allerdings selbst in den USA mittlerweile umstritten und beispielsweise im Herbst 2014 im Bundesstaat New Jersey verboten worden. Fracking ist ein Verfahren, mit dem sich Gas aus undurchlässigem Gestein lösen lässt. Vor dem Fracken wird zunächst bis zu fünf Kilometer in die Tiefe, dann horizontal in die gasführende Gesteinsschicht gebohrt. Anschließend wird mit enormem Druck von bis zu 1000 bar ein Gemisch aus Wasser, Quarzsand oder Keramikkügelchen und diversen Chemikalien gepresst. Dieser Druck sorgt dafür, dass das Gestein aufgesprengt und damit gasdurchlässig wird. Festkörper und Chemikalien halten die entstandenen Risse offen. Seit etwa 2005 wird es im großen Stil genutzt und löste in Nordamerika einen regelrechten Gas-Boom aus. Die mit dieser Technologie erschlossenen Rohstoffquellen sind jedoch nicht sehr langlebig. Die Bohrstandorte müssen systematisch verschoben werden. Außerdem bleibt die Produktion von Strom aus fossilen Energieträgern als Konkurrenz gegen Atomkraftwerke wegen der Gefahr des Klimawandels ein zweischneidiges Schwert.

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94 Prozent der befragten Experten erwarten laut der Umfrage von PricewaterhouseCoopers bis 2030 in der Energie-Industrie große Veränderungen, an die sie ihre Geschäftstätigkeit anpassen müssen. Bereits jetzt gefährden dezentrale Energiegewinnungsprojekte das klassische Geschäftsmodell der Energieanbieter. Einerseits müssen für diese Projekte kleine Netzwerke installiert werden, andererseits müssen beispielsweise in Deutschland leistungsfähige Transportkapazitäten von Norden nach Süden aufgebaut werden, um große, in Offshore Windparks produzierte, Energiemengen zu den Konsumenten zu führen. PricewaterhouseCoopers warnt trotz dieser Schwierigkeiten die großen Energieanbieter vor der Gefahr, den Trend zu alternativen Energien zu verpassen. Sie könnten sonst zum reinen Sicherungsanbieter degradiert werden. Nur wenige Befragte erwarten, dass große Kraftwerke und zentrale Lösungen die Nachfrage und Bedürfnisse der Zukunft lösen könnten. Die Beraterfirma empfiehlt den Branchenmitgliedern deshalb eine Strategie gegenüber diesen Herausforderungen zu entwickeln. Sie müssten ihre Chancen erkennen und nutzen, wenn sie weiterhin eine Rolle spielen wollten. Wirtschaftskrisen, wachsende Energieeffizienz und fallende Preise bei fossilen Energieträgern sind nicht nur für Kernkraftwerkprojekte, sondern auch für erneuerbare Energie ernsthafte Hürden. Laut dem vom Umweltprogramm der vereinten Nationen (UNEP) veröffentlichten Bericht »Global Trends in Renewable Energy Investment 2015« sind die weltweiten Investitionen in erneuerbare Energien zwar seit 2011 gesunken, doch 2014 gab es – trotz der gedämpften Wirtschaftlage eine markante Steigerung. In Zahlen: 2014 betrugen die Investitionen in erneuerbare Energien 270 Milliarden Dollar. Im Investitionsrückgang zwischen 2011 und 2013 drückt sich laut dem Bericht des UNEP die Sorge über die künftige politische Strategie einiger Länder wie die USA, Deutschland, Frankreich und Grossbritannien bezüglich der staatlichen Unterstützung beim Aufbau und Betrieb von Projekte für erneuerbare Energie aus. Nach der Überwindung der staatlichen Schuldenkrise in den südlichen Ländern Europas dürften nun die Investitionen in erneuerbare Energien wieder deutlich zunehmen. Einen Einfluss darauf dürfte auch die Einigung bei den Klimaverhandlungen von Paris haben. Die daraus resultierenden Verpflichtungen werden der Formulierung einer klaren Energiestrategie Impulse geben, zumal die benötige Hilfe pro installiertem Megawatt bei den neuen erneuerbaren Energien immer geringer oder bald unnötig wird. Der UNEP-Bericht prognostiziert deshalb mittelfristig eine deutliche Investitionszunahme in Wind- und Solarenergie. Bereits jetzt werden Projekte für hunderte von Millionen Euro in Lateinamerika und dem Mittleren Osten entwickelt – ganz ohne staatliche Subventionen.


Als sich die Zukunftsaussichten für den grössten deutschen Energiekonzern E.ON immer mehr verdüsterten, beschloss der Konzern im November 2014 einen radikalen Kurswechsel. Er will die Produktion atomarer und fossiler Energie und damit das traditionelle Geschäft auslagern. Skeptiker fragen sich nun, ob dieses ausgelagerte Sammelsurium traditioneller Energieprodukte, die sie despektierlich auch »bad bank« nennen, die finanzielle Kraft haben wird, den Verpflichtungen beispielsweise bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle nachzukommen. E.ON selbst sieht seine Zukunft in der Produktion erneuerbarer Energien und dem Umbau der Stromnetze in »intelligente Netze«. Damit sollen Bedürfnisse von Kunden, die nicht mehr nur Stromkonsumenten, sondern auch Produzenten sein wollen, besser bedient werden. E.ON vollzieht damit jenen Strategiewechsel, den PricewaterhouseCoopers in seinem Bericht »Energy transformation – The impact on the power sector business model« ebenfalls vorschlägt. Denn wer eine zukunftstaugliche Energiestrategie entwickeln will, darf Kernenergie nicht einfach durch Strom aus Kohle- oder Gaskraftwerken ersetzen. Die Gefahr ist auch in der Schweiz gross, dass die kriselnden Energieproduzenten, wie Alpiq und Axpo versuchen werden, die Kosten für den Rückbau und die Endlagerung wenigstens teilweise über die öffentliche Hand abzuwickeln. Eine verzwickte Situation, weil die Kantonalen Finanzämter sich gerne jahrelang Sand in die Augen Streuen und Geld in die Hand geben liessen. Obwohl immer klar war, dass bei der Kernenergie die ganz grosse Rechnung erst am Schluss präsentiert wird. Sowohl in Deutschland aber auch in der Schweiz engagieren sich die Interessenvertreter der Energieindustrie. Einerseits, um wie in Deutschland den Staat zu Schadenausfall zu zwingen, andererseits um wie in der Schweiz eine Laufzeitverlängerung zu beschliessen. Was Deutschland betrifft, so ist dies – wenn genau gerechnet wird – eine absurde Klage um entgangene Defizite. Denn gewinnbringend ist die Atomenergie nicht mehr. Das Schweizer Parlament wagt mit der unbeschränkten Laufzeitverlängerung ein riskantes Spiel und wenn es je zu einem schweren Unfall wegen eines maroden Kraftwerks kommt, werden dies die einzelnen Parlamentarier mit ihrem eigenen Gewissen vereinbaren müssen.


Es wäre wünschenswert, sich auch auf politischer Ebene mit der Zukunft der Energieversorgung zu befassen. Der Klimawandel ist längerfristig eine grosse Bedrohung für die Menschheit. Der fünfte Zustandsbericht des International Panel on Climate Change (IPCC) von 2014 geht davon aus, dass sich die CO2-Emissionen aus dem Energiesektor bis 2050 verdoppeln könnten, wenn sich die bisherige Energiepolitik nicht ändert. Der Aufbau eines kohlenstoffarmen Energiesektors wird vom Weltklimarat als Schlüssel bei den technischen Maßnahmen gegen den Klimawandel bezeichnet. Die Energie aus erneuerbaren Quellen, aber auch aus der Kernspaltung müsse von 30 auf 80 Prozent steigen. Über die Kernenergie ist im Bericht des IPCC zu lesen, sie sei zwar eine treibhausgasarme Energie, aber es gäbe eine Reihe von Risiken: bei der Urangewinnung, dem Betrieb, finanziellen und regulativen Fragen, ungelösten Endlagerproblemen und der Verbreitung von Kernwaffen, sowie der öffentlichen Meinung. Wenn man die Entwicklung der Kernenergie in den letzten 15 Jahren betrachtet, aber auch die mit sechs Milliarden Euro jährlichen relativ geringen Investitionen seit dem Jahr 2000, so scheint es etwas überraschend, dass internationale Institutionen der Atomkraft eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Klimawandel zutrauen.

Zum Weiterlesen:

Irene Aegerter, Physikerin, Schweiz: "Die Energiewende ist katastrophal."

Christian Bauer, Wissenschaftler für Ökosysteme, Schweiz: "Wasserkraft ist die ökologischste Energieform."

Mycle Schneider, Energieberater, Paris, Frankreich: "Atomenergie ist nicht mehr konkurrenzfähig."

Geologisches Tiefenlager

  • Geologisches Tiefenlager

    Zu einem geologischen Tiefenlager gehören sowohl die Oberflächen-Anlage als auch die in mehreren hundert Metern Tiefe im Wirtgestein liegende Anlage, in der die radioaktiven Abfälle in Stollen oder Kavernen mithilfe passiver Sicherheitsbarrieren [siehe auch Geologische Barriere] dauerhaft von Mensch und Umwelt isoliert werden.

Castorbehälter

  • Castorbehälter

    Behälter zur Aufbewahrung und zum Transport radioaktiven Materials. Castor ist ein geschützter Name der Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS). Ein gefüllter Castorbehälter wiegt 110 bis 125 Tonnen. Die Herstellung eines Castorbehälters kostet rund 1,5 Millionen Franken. Zur Aufbewahrung radioaktiver Materialien werden auch noch andere Behälter benutzt. Alle müssen aber dieselben technischen Anforderungen erfüllen. Sie weisen beispielsweise mehrere Druckräume auf.

Bis in die Ewigkeit: Ausschnitt aus dem empfehlenswerten Dokumentarfilm "Into Eternity" (2010)

Mensch + Energie

Vor dem Hintergrund der aktuellen „Energiewende“-Debatten möchten wir einen kritischen Diskussionsbeitrag leisten für all jene, die mehr wissen wollen zum Thema Energie. Und wir möchten einen Beitrag leisten, die tiefen ideologischen Gräben zu überwinden, die Befürworter und Gegner trennen. Denn die Wahrheit wird bei diesem Thema sehr schnell relativ bzw. relativiert, man bewegt sich auf einem Feld, in dem sich Experten, Meinungsmacherinnern, Ideologen, Betroffene, Opfer, Lobbyisten, Politikerinnen und Weltenretter tummeln. Sie alle sollen zu Wort kommen, sie sollen von ihrer Wahrheit erzählen, der Wahrheit des Strahlenopfers ebenso wie jener des Kraftwerkbetreibers, des Befürworters und der Gegnerin.

Kernfusion

  • Kernfusion

    Bei der Kernfusion verschmelzen in einer Kettenreaktion zwei Atomkerne zu einem neuen Kern. Es ist dieser Prozess, der auch die Sonne in einen leuchtenden Stern verwandelt. Konkret verschmelzen bei extrem hohen Temperaturen die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium zu einem Heliumkern. Dies unter Freisetzung eines Neutrons und Energie. Diese Fusionsreaktion ist die Ursache für die Zerstörungskraft von Wasserstoffbomben. Seit Jahrzehnten experimentieren Forscher damit, sich dieses unglaubliche Energiepotenzial zunutze zu machen. Bislang verbrauchten die Kernfusionsversuche mehr Energie, als sie einbrachten. In Südfrankreich befindet sich der Fusionsreaktor Iter im Bau, der ab 2020 im großen Umfang Informationen über die weitere Entwicklung dieser Technologie geben soll. An dem 16 Milliarden Euro teuren Experiment sind zahlreiche Länder beteiligt. Es ist eine offene Frage, ob die Kernfusion tatsächlich einmal Strom für den Massenkonsum bringen kann. Auf jeden Fall wird dies noch Jahrzehnte dauern.

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