Keine neuen Atomkraftwerke mehr in der Schweiz

geschrieben von  Urs Fitze

Überraschend deutlich, mit 58,2 Prozent Ja-Stimmen-Anteil, hat die Schweizer Bevölkerung einem Neubau-Verbot für Atomkraftwerke zugestimmt. Der Atomausstieg auf Raten kommt im Rahmen eines Energiegesetzes, das ein ganzes Massnahmenpaket zur Senkung des gesamten Pro-Kopf-Energieverbrauchs um 43 Prozent bis 2035 gegenüber dem Stand von 2000 vorsieht. Beim Stromverbrauch ist das Ziel mit minus 13 Prozent bescheidener.

Mit dem deutlichen Ja zum Energiegesetz an der Urne ist der Schweizer Atomausstieg Tatsache. «Rahmenbewilligungen für die Erstellung von Kernkraftwerken dürfen nicht erteilt werden», heisst es nun umständlich im Schweizer Gesetzbuch. Damit wird allerdings kaum mehr als der Status Quo festgeschrieben, denn für eine solche Rahmenbewilligung hätte es schon zuvor zwingend einer Volksabstimmung bedürft – und niemand, schon gar nicht die Betreiber der bestehenden Atomkraftwerksbetreiber, nimmt ein solches heisses Eisen in die Hand. Ganz im Gegenteil: Mehrere Gesuche für Ersatzneubauten der fünf Atomkraftwerke in der Schweiz waren vor 2010 beim zuständigen Bundesrat deponiert worden. Im Kanton Bern hatte sich kurz vor dem Super-Gau in Fukushima die Bevölkerung an einer Abstimmung noch für den Ersatz des AKW Mühleberg ausgesprochen. Inzwischen hat der Betreiber das Gesuch zurückgezogen, und das Atomkraftwerk geht 2019 vom Netz, weil es zu teuer wäre, das AKW sicherheitstechnisch nachzurüsten. Auch die andern Gesuche sind längst Makulatur. Für die andern vier Meiler, Beznau I und II, Gösgen und Leibstadt, gilt derweil die gesetzlich festgeschriebene Regel, dass sie solange weiterbetrieben werden dürfen, als dass sie als sicher gelten. Im vergangenen Herbst war ein Volksbegehren der Grünen, die Laufzeit auf 45 Jahre zu beschränken, an der Urne gescheitert. Damit sind nun auch Laufzeiten von 60 Jahren, wie sie in den USA bereits konzessioniert wurden, in der Schweiz denkbar. Das älteste AKW der Welt, Beznau I mit Baujahr 1969, könnte dann noch bis 2029 laufen, das jüngste Schweizer AKW, Leibstadt, bis 2044. In Deutschland wäre das letzte Atomkraftwerk dann schon 22 Jahre vom Netz.

Hohe Ziele
Es bleiben also noch knapp zwei Jahrzehnte, die im Energiegesetz als «Richtwert» festgelegten Vorgabe einer Senkung des jährlichen Pro Kopf – Verbrauchs an Elektrizität um 13 Prozent bis 2035 gegenüber dem Jahr 2000 anzustreben – dies bei allmählichem Wegfall des Atomstroms, der heute noch knapp 38 Prozent der Schweizer Stromproduktion sichert. Erreicht werden soll dieses Ziel mit einem ganzen Bündel von Massnahmen, die befristete Investitionszuschüsse für erneuerbare Energianlagen, Spar- und Effizienzvorgaben beeinhalten. Diese werden so breit gestreut, dass mit Ausnahme der energieintensiven Industrien eigentlich alle erwarten dürfen, sich etwas am Subventionstopf laben zu dürfen. Dazu kommt etwa die längst fällige Streichung der lächerlich niedrigen Festpreise für die Abnahme von Solar- oder Windstrom durch die Netzbetreiber. Damit lässt sich, wenn man es geschickt anstellt, auch mit einer Solaranlage auf dem Dach Geld verdienen. Ob die Strategie aufgeht, steht dennoch in den Sternen, zumal mit dem jetzt angenommenen Energiegesetz erst ein Teil der Energiestrategie umgesetzt ist, die bis zum Jahr 2050 auch einen fast vollständigen Ausstieg aus nicht erneuerbaren Ressourcen wie Erdöl oder Erdgas vorsieht. Schon das Zwischenziel bis 2035 ist sehr ambitioniert. Um 43 Prozent soll bis dann der Pro Kopf – Energieverbrauch gegenüber dem Jahr 2000 gesenkt werden. Die technische Machbarkeit ist aus heutiger Sicht gegeben. Im Gebäudebereich schlummern riesige Potenziale, und schon heute lassen sich Altbauten so sanieren, dass sie mehr Energie produzieren als dass sie selber benötigen. Völlig offen ist derzeit, ob sich auch für die noch weit ambitionierteren Ziele Mehrheiten finden lassen. Das Ja zum Energiegesetz war kaum mehr als das Vorspiel. Die grosse Verliererin des Abstimmungssonntags ist die nationalkonservative Schweizerische Volkspartei, die sich energiepolitisch mit einer kruden Argumentation jenseits aller belastbaren Fakten ins Abseits manövriert hat.

 



Geologisches Tiefenlager

  • Geologisches Tiefenlager

    Zu einem geologischen Tiefenlager gehören sowohl die Oberflächen-Anlage als auch die in mehreren hundert Metern Tiefe im Wirtgestein liegende Anlage, in der die radioaktiven Abfälle in Stollen oder Kavernen mithilfe passiver Sicherheitsbarrieren [siehe auch Geologische Barriere] dauerhaft von Mensch und Umwelt isoliert werden.

Castorbehälter

  • Castorbehälter

    Behälter zur Aufbewahrung und zum Transport radioaktiven Materials. Castor ist ein geschützter Name der Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS). Ein gefüllter Castorbehälter wiegt 110 bis 125 Tonnen. Die Herstellung eines Castorbehälters kostet rund 1,5 Millionen Franken. Zur Aufbewahrung radioaktiver Materialien werden auch noch andere Behälter benutzt. Alle müssen aber dieselben technischen Anforderungen erfüllen. Sie weisen beispielsweise mehrere Druckräume auf.

Bis in die Ewigkeit: Ausschnitt aus dem empfehlenswerten Dokumentarfilm "Into Eternity" (2010)

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Vor dem Hintergrund der aktuellen „Energiewende“-Debatten möchten wir einen kritischen Diskussionsbeitrag leisten für all jene, die mehr wissen wollen zum Thema Energie. Und wir möchten einen Beitrag leisten, die tiefen ideologischen Gräben zu überwinden, die Befürworter und Gegner trennen. Denn die Wahrheit wird bei diesem Thema sehr schnell relativ bzw. relativiert, man bewegt sich auf einem Feld, in dem sich Experten, Meinungsmacherinnern, Ideologen, Betroffene, Opfer, Lobbyisten, Politikerinnen und Weltenretter tummeln. Sie alle sollen zu Wort kommen, sie sollen von ihrer Wahrheit erzählen, der Wahrheit des Strahlenopfers ebenso wie jener des Kraftwerkbetreibers, des Befürworters und der Gegnerin.

Kernfusion

  • Kernfusion

    Bei der Kernfusion verschmelzen in einer Kettenreaktion zwei Atomkerne zu einem neuen Kern. Es ist dieser Prozess, der auch die Sonne in einen leuchtenden Stern verwandelt. Konkret verschmelzen bei extrem hohen Temperaturen die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium zu einem Heliumkern. Dies unter Freisetzung eines Neutrons und Energie. Diese Fusionsreaktion ist die Ursache für die Zerstörungskraft von Wasserstoffbomben. Seit Jahrzehnten experimentieren Forscher damit, sich dieses unglaubliche Energiepotenzial zunutze zu machen. Bislang verbrauchten die Kernfusionsversuche mehr Energie, als sie einbrachten. In Südfrankreich befindet sich der Fusionsreaktor Iter im Bau, der ab 2020 im großen Umfang Informationen über die weitere Entwicklung dieser Technologie geben soll. An dem 16 Milliarden Euro teuren Experiment sind zahlreiche Länder beteiligt. Es ist eine offene Frage, ob die Kernfusion tatsächlich einmal Strom für den Massenkonsum bringen kann. Auf jeden Fall wird dies noch Jahrzehnte dauern.

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