Diese Seite drucken

Die Strategie der russischen Atompolitik

geschrieben von  Elena Camillo

Der staatliche, russische Atomkonzern Rosatom bietet Bau, Betrieb und Finanzierung von Nuklearanlagen aus einer Hand. Mit diesem Konplett-Angebot sind weltweit bereits 34 Länder jahrzehntelang an Russland gebunden, unter anderem auch Ungarn. Die EU-Kommission sieht keine Bedrohung.

Brasilien ist schon seit einigen Jahren ein Wunschpartner der russischen Regierung. Das größte Land Südamerikas verfügt mit dem Kernkraftwerk Angra über zwei Reaktoren. Nun soll ein Dritter hinzukommen. Bereits 2013 signalisierte Kirill Komanov, Rosatoms stellvertretender Generaldirektor, die Bereitschaft, in Brasilien ein Kernkraftwerk zu bauen, zu betreiben und zu finanzieren. Othon Pinhiero, Präsident des staatlichen brasilianischen Atomkonzerns, erklärte, Brasilien müsse seine Stromerzeugung diversifizieren. Von der Wasserkraft sei man zu abhängig. Am 27. November 2017 unterzeichnete der russische staatliche Atomkonzern Rosatom eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit im Kernenergiesektor mit Brasilien. Über die bestehenden Anlagen Angra I & II hinaus soll der Bau neuer Kernkraftwerke in Kooperation mit Russland jetzt möglich sein - mit eingeschlossen sind Unterstützung bei deren Betrieb und Unterhalt. Näher zusammenrücken wollen die Unternehmen auch bei der Ausbildung von Fachkräften und der Verbesserung der öffentlichen Wahrnehmung. Diese ist in Brasilien verbreitet negativ; nicht zuletzt weil die Sicherheitslage der Reaktoren unzureichend ist. Angra I & II stehen auf feuchtem Boden, umringt von Berghängen, was die Möglichkeit eines Erdrutsches während regenreicher Zeit sehr bedrohlich macht. 

Werbung mit fortschrittlicher Technologie

Die Südamerikaner sind weder der einzige, noch der erste Kooperationspartner von Rosatom. Aktuell leitet der russische Atomkonzern gleichzeitig acht Kernreaktorbauprojekte in Russland und 34 im Ausland. 2014 verkaufte er Nuklearanlagen im Wert von knapp 85 Milliarden Euro nach Bangladesch, Weißrussland, China, Ägypten, Finnland, Ungarn, Indien und in den Iran. Die russischen Bauprojekte sind Reaktoren der dritten Generation. Ein solcher ist seit Mai 2016 ist im russischen Kernkraftwerk Nowoworonesch II  in Betrieb. Dessen Sicherheitscharakteristika übertreffen nach eigenen Angaben die der Anlagen im Westen. Die passiven Systeme der dritten Generation können im Falle eines totalen Stromausfalls auch ohne Strom weiter kühlen und verhindern, dass Radionuklide über das unmittelbare Anlagegelände freigesetzt werden – anders als jene der zweiten Generation. Aus dem Haus des russischen Atomkonzerns heißt es, dass ihre Reaktoren gerade wegen der Tschernobyl-Katastrophe sicher und nicht trotz dessen sicher seien. Das Sicherheitsnetz, das russische Physiker nach Tschernobyl erfunden hätten, könnte verhindern, dass ein sich Schmelzreaktor in den Boden eingrabe. 

Atomkraft zu „sorglos“-Konditionen

Mit Komplett-Angeboten soll Nationen der Zugang zur Nuklearenergie ermöglicht werden. Das Angebot läuft nach dem „Build-Own-Operate“-Prinzip, was bedeutet, dass die russische Firma den Reaktor baut, finanziert und bedient– bis zu 60 Jahre lang. Das Angebot kann kein anderes Unternehmen bieten. Der Konzern sieht den Abfall nicht als Gefahr, sondern als Möglichkeit, ihn weiter zu verarbeiten, wie er auf seiner Website in Graphiken verdeutlicht. In „Zukunftstechnologien“, die er gerade erforscht, fließt das verbrauchte Material mit ein. In einer Stellungnahme von Bangladeschs Gesandten Saiful Hope heißt es, man habe Rosatom gewählt, weil kein anderes Land der Rücknahme des nuklearen Abfalls zugestimmt habe. Auch der EU-Partner Ungarn ist mit Russland im Geschäft. Das ungarische Kernkraftwerk Paks hat vier Reaktoren, die in den 1980er Jahren bereits von Russland gebaut wurden. „Russische Reaktoren sind die einzige Erfahrung, die wir haben, und wir sind wirklich zufrieden mit ihnen“, sagt Krisoph Horwath, Ungarns stellvertretender Direktor der Atomenergiebehörde. 2014 fädelte Präsident Viktor Orban mit Präsident Wladimir Putin einen spektakulären Deal ein. Demnach stellt Rosatom einen 10 Milliarden Euro Kredit für die Baukosten von zwei neuen Reaktoren im bestehenden Atomkraftwerk bereit. Für die EU-Kommission stellte sich seinerzeit die Frage, ob die russischen Fördermaßnahmen mit dem EU-Beihilferecht vereinbar seien. Das Verfahren über unzulässige Staatsbeihilfen wurde im im November 2017 eingestellt, weil als unbedenklich eingestuft. Der ungarische Strommix besteht zu 67 Prozent aus Atomenergie und wird mit den beiden neuen Reaktoren noch stärker von russischer Atomenergie abhängen. Dass Orban sich so wirtschaftlich an Russland bindet, hat auch politische Gründe. Er will der EU die Stirne bieten, die seinen flüchtlingsfeindlichen Kurs und seinen selbstherrlichen Umgang mit der Medienfreiheit immer wieder kritisiert. Ganz im Gegensatz dazu hat Bulgarien aus Sorge über verstärkte Abhängigkeit vom großen Nachbarn ein Projekt eines russischen Reaktorbaus in Belene fallen gelassen.

Die Strategie hinter großen Versprechen

Bulgariens politische Sorge ist durchaus berechtigt, wenn man sich folgende Zahlen genauer ansieht. Ein russischer Reaktor kostet laut Rosatom knapp fünf Milliarden Euro. Zum Vergleich: Französische AREVA-Kraftwerke der dritten Generation kosten mit westeuropäischer Technologie mehr als doppelt soviel. Analysten zweifeln, ob diese Anzahl der laufenden Projekte tragbar ist, nicht nur finanziell, sondern politisch. Da Bauprozesse erfahrungsgemäß mehr als zehn Jahre dauern, hat eine politische oder wirtschaftliche Krise ein ernstzunehmendes Gefahrenpotential. Alexander Niktin,  Chef der atomkritischen Umweltgruppe „Bellona“ in St. Petersburg, versichert, dass die Elektrizitätstarife zu niedrig seien, um die wahren Kosten der Nuklearindustrie zu decken. Seit 2013 werde Rosatom auch über circa 40 Milliarden Euro Steuergelder finanziert. Niktin  meint über die Abhängigkeit einer wachsenden Zahl von Ländern von russischer Atomtechnik: „Das war immer Putins Ziel“. Er sieht hinter den ökonomischen Plänen das politische Interesse, andere Länder an sich zu binden. Alexander Nikitin war ein Insider. Als Ingenieur und ehemaliger Offizier in der russischen U-Boot Flotte wurde er durch Kritik an der atomaren Sicherheit wegen Landesverrats und Spionage angezeigt. 

EU im Dornröschenschlaf

Zugegeben: Der russische Atomkraft-Handel klingt reizvoll vor allem für jene Länder, die das allein nicht stemmen können.  Aber es ist auch zweifelhaft bis unseriös: Nicht nur die Frage der Sicherheitsstandards und eingesetzten Technologien sind unklar. Die problemlose Rücknahme nuklearen Abfalls und Überführung in Zukunftstechnologien klingt wie ein modernes Märchen. Und wirtschaftlich geht die Rechnung offenbar schon jetzt nicht auf, wenn der Staat derart draufzahlt.  Doch politisch scheint sich Russland sehr viel von seiner Strategie zu versprechen. Schickt es sich doch an, der Energieversorger Nummer eins weltweit zu werden, wie der Politiker Sergei Kriryenko aus der Präsidalverwaltung bekannt gab. Traurig, dass die EU-Kommission solche Art der Staatsbeihilfen zur Atomkraft als unbedenklich einstuft. Einzig österreichische Politiker äusserten sich verständnislos über die Entscheidung.  Es gibt offenbar in Brüssel kein Bewusstsein für die Formen politischer Einflussnahme die durch die russische Atomstrategie entstehen.

Links:

Aktuelle Absichtserklärung zwischen Russland und Brasilien (2017)

Grundsätzliches Interesse Russlands an Brasilien (2013)

„Nicht ohne mein Atomkraftwerk“ (2016)

„Strahlende Zukunft für Europas Osten“ (2014)

Russlands nukleare Ambitionen (2013)

Interview mit mit Vasily Konstiantinov, Präsident der Uranium One Group (2016)

Internationale Projekte von Rosatom (2017)

'Über uns' von Rosatom (2017)

Pressemitteilung zur brasilianischen Zusammenarbeit (2014)