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STENFO: Versuch einer Bezifferung

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Die Schweizer AKW-Betreiber legen Geld zurück die Stillegung der fünf Atomkraftwerke und die Endlagerung der radioaktiven Abfälle. Denn es gilt das Verursacherprinzip. Die Höhe dieser Beiträge wird alle fünf Jahre neu berechnet. Bei allen Unwägbarkeiten gibt es eine Konstante: Es wird immer teurer.

Auf 145 Millionen Franken beziffert eine unabhängige Expertenkommission zur Beurteilung der mutmasslichen Kosten für die Entsorgung radioaktiver Abfälle in der Schweiz den «Optimism Bias», eine aus der psychologischen Forschung entlehnte Aussage, wonach Menschen, was ihre Zukunft betrifft, in aller Regel weit optimistischer sind, als es den Realitäten entspricht. Doch was uns allen das Leben erträglicher macht, muss in diesem Fall Anlass zur Besorgnis geben.

Die Kommission hatte die Aufgabe, eine vom Branchenverband Swissnuclear vorgelegte Kostenschätzung zu überprüfen. Sie ist die Basis für die Festlegung der Beiträge, die die Betreiber der fünf Schweizer Atomkraftwerke in den «Stillegungsfonds für Kernanlagen und Entsorgungsfonds für Kernkraftwerke STENFO» einzahlen müssen. Im Fünfjahresrhythmus werden dabei diese neu geschätzt. Das letzte Wort hat das Energieministerium. Diesem liegt nun der Antrag des STENFO vor, wonach die mutmasslichen Kosten auf 23,484 Milliarden Franken steigen dürften. Das sind 1,717 Milliarden mehr als in den Berechnungen von Swissnuclear. Gegenüber der letzten offiziell anerkannten Schätzung aus dem Jahr 2011 sind die Kosten um 15 Prozent gestiegen – obwohl die Ansprüche dieselben geblieben sind. Es gilt das Verursacherprinzip. Die Betreiber müssen für die Entsorgungs- und Endlagerkosten selber aufkommen, und das Geld muss in einer angenommenen Betriebszeit von 50 Jahren auf die Seite gelegt werden. Der Staat soll nur im Notfall einspringen müssen, wenn sich die Annahmen nicht bewahrheiten sollten.

Erfahrungen, die es kaum gibt
Mit der Wahrheit ist es bei solchen Zeiträumen aber so eine Sache. Der erwähnte «Optimism Bias» mag empirisch gut belegt sein, die Annahme einer fünfprozentigen Kostensteigerung beruht indes auf «internationale Erfahrungen», die es in Tat und Wahrheit, vor allem für die Endlagerung, kaum gibt. So wird denn auch allgemein auf das Erfahrungswissen bei grossen Infrastrukturprojekten verwiesen. Vor diesem Hintergrund scheint eine Annahme von nur fünf Prozent zusätzlichen Kosten als sehr optimistisch. Man denke nur an Grossprojekte wie den Berliner Flughafen oder den Stuttgarter Hauptbahnhof. Dazu kommt dann etwa die Frage, welche Gebäude nach dem Rückbau eine Atomkraftwerkes allenfalls noch weiter genutzt werden könnten. Swissnuclear war von einer «braunen Wiese» ausgegangen. Gemeint ist damit, dass die Gebäude stehen bleiben. Die Expertenkommission geht in ihrem Szenario davon aus, dass der Grossteil der Bauten abgebrochen werden wird, allenfalls werde das eine oder andere Verwaltungsgebäude weiter genutzt. Das macht in der Summe Mehrkosten von 15 Millionen Franken. Die grösste Kostensteigerung verursacht eine andere Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, dass ein kombiniertes Endlager für mittel- und stark radioaktive Abfälle gebaut werden könnte, was deutlich günstiger wäre, als wenn zwei Lager gebaut werden müssten. Diese schätzt Swissnuclear auf 50, die Expertenkommission auf 40 Prozent ein, wiederum auf Basis internationaler Erfahrungen und der vorliegenden Studienergebnisse. 163 Millionen «Mehrkosten» sind damit zu veranschlagen. Der durchschnittliche Zinsertrag auf das laufend angehäufte Fondskapital wird mit Verweis auf die bisherigen Erträge (3 – 4 %) auf zwei Prozent veranschlagt. Viel mehr als Kaffeesatzleserei sind solche Annahmen angesichts der vielen Unwägbarkeiten aber nicht – auch wenn nach bestem Wissen und Gewissen prognostiziert wird. Die Quadratur des Kreises bleibt ein Ding der Unmöglichkeit. Fast alles spricht dafür, dass das Ende der finanziellen Fahnenstange noch nicht erreicht ist. Aktuell werden die Schweizer AKW-Betreiber, die Genehmigung durch das Energieministerium vorausgesetzt, in den Jahren 2017 bis 2021 477,4 Millionen Franken in den Fonds einschiessen müssen. Das sind 121,9 Millionen mehr als in den fünf Jahren zuvor.