Didier Anger, Anti-Atom-Aktivist in La Hague

"Demokratie und Atomindustrie passen nicht zusammen"

Didier Anger (77), pensionierter Mittelschullehrer und seit 40 Jahren aktiv engagiert gegen die atomare Wiederaufbereitung in La Hague und den Ausbau der Kernenergie in Flamanville.

 „Ich bin seit Jahrzehnten gegen die Kernenergie. Meine Motivation, bei diesem Thema aktiv zu werden, war aber eine andere als bei den Meisten. Sie engagieren sich gegen die Atomenergie, weil sie Angst vor Verstrahlung und damit um ihre Gesundheit haben oder sie fürchten Auswirkungen auf die Umwelt. Ich aber war Mittelschullehrer und engagierter Gewerkschafter. Auch die Geschichte der Gewerkschaften beschäftigte mich. Dabei stiess ich auf einen roten Faden der Geschichte von Verfolgung und Unterdrückung. Immer wieder versuchten Unternehmer die Selbstorganisation von Arbeitern zu verhindern, damit diese ihre Interessen nicht bündeln konnten. Ich bin Lehrer in Les Pieux. Das liegt ungefähr im Schnittpunkt zwischen der Wiederaufbereitungsanlage La Hague und den Kernreaktoren von Flamanville. Doch die gab es in den 1970er Jahren noch nicht, als meine Injektion durch das Thema stattfand. Es gab nur La Hague. Also, bei der Wiederaufbereitung entsteht Plutonium. Man muss es durch einen komplizierten technischen Prozess gewinnen. Deshalb gibt es ja auch die Möglichkeit, Länder von der Produktion von Plutonium und damit von der Atombombe fernzuhalten. Noch in den 1950er Jahre unter General Charles de Gaulle verbreitete sich in Frankreich die Überzeugung man müsse in der ersten Reihe mitgeigen, um unverwundbar zu werden. Und um in der ersten Reihe sitzen zu können, müsse ein Land zur Atommacht werden, damit man unabhängig gegenüber der Sowjetunion sei – so de Gaulle- Damit man unabhängig gegenüber der USA sei, so die damaligen noch starken Kommunisten. Sie waren sich darin einig, eine Wiederaufbereitungsanlage zu bauen, damit man Plutonium gewinnen könne. Warum dafür ausgerechnet La Hague bestimmt wurde, ist nicht offiziell bekannt. Es war eine militärische Entscheidung und sie hängten die Plutoniumgewinnung nicht an die grosse Glocke. Die Strömung vor dem Cap La Hague ist sehr stark und ich vermute, es ist ein guter Ort, weil es die ins Meer geleitete flüssigen radioaktiven Abfälle schnell im Wasser verteilt. Bereits Anfang 1970 hatte die Armee für ihr Atombombenarsenal genug Plutonium und die Anlage hätte wieder geschlossen werden sollen. Es entstanden aber Pläne, sie für kommerzielle Zwecke zu nutzen und die radiaktiven Abfälle aus allen Atomkraftwerken Frankreichs und den umliegenden Nachbarländern wieder aufzubereiten.

Gegen diese Pläne regte sich nun erster Widerstand. Als ein Lehrer auf unserer Schule zwei Plakate aufhängte und ein bisschen mobilisierte, wurde er auf Druck des Chefs der Wiederaufbereitung La Hague, eines Colonels, was dem militärischen Rang eines Obersten entspricht, verhaftet und verhört. Er wurde aus der Schule entlassen und wie ein Verbrecher behandelt. Das hatte doch nichts mit demokratischen Grundrechten zu tun! Das war für mich ein heftiges Déjà-vu. Hatte man nicht in der Vergangenheit auf diese Weise Gewerkschafter behandelt, die sich für ihre Rechte einsetzten? Meine intensivere Beschäftigung mit der Gewerkschaftsgeschichte und später mit der Kernkraft bestätigte mich. Wir haben es mit einem System aus Geheimniskrämerei, Lügen, Vertuschungen, Einschüchterungen und Drohungen zu tun. Ich billige den Verantwortlichen von La Hague und auch Flamanville zu, dass sie ehrlich für unsere Sicherheit besorgt sind. Aber der ganze Komplex, gewachsen als militärisch-zentralistisches Gebilde und dann für den zivilen Nutzen umgebaut, musste sich nie normalen wirtschaftlichen Begebenheiten stellen. Aus einer staatlich-militärischen Verwaltung wurde eine staatlich-zivile Verwaltung. Militärische Angestellte zu staatlichen Angestellten. Die Namen wurden gewechselt. 1976 entstand Cogema, die später in AREVA umgetauft wurde. Zwar gab es Privatisierungsversuche, aber nur so weit, dass der Staat die absolute Mehrheit behielt. Heute sind AREVA und auch Électricité de France (EDF) so verschuldet, dass sich kein privater Investor die Finger verbrennen möchte. AREVA hat sich mit seinen Investitionen in und dem Bau der neuen Reaktore der dritten Generation in Finnland (Olkiluoto), in Flamanville und mit zwei Reaktoren in China so hoch verschuldet, dass EDF Zwangshilfe leisten muss. So funktioniert das, wenn Firmen nicht dem rauen Wind der Privatwirtschaft ausgesetzt sind, sondern als Vermengung von militärischen und politischen Zielen in staatlichen Interesse weiterwursteln. Doch welche Interessen sind das? Die des französischen Volkes? Doch eher jene eines Machtsystems, das solche Ziele, wie Atommacht und weltweit bedeutender Nukleartechnikexporteur sein, braucht, um sich selber zu erhalten.

Als Gewerkschafter bin ich nicht einer, der Privatisierungen fordert, doch in diesem Fall ist vieles grotesk. Mit meiner Frau Paulette engagierte ich mich aktiv gegen die Kernenergie. Während die Lehrergewerkschaft atomkritisch war, engagierte sich die grösste Gewerkschaft CGT stark für die Kernenergie. Aus Tradition. Sie war auch für die atomare Bewaffnung. Doch der wichtigste Grund: In La Hague arbeiten 4000 Menschen und damit auch Gewerkschaftsmitglieder. 1972 gründete ich die Antinuklearbewegung CRILAN mit. Ich war auch einer der Gründer der grünen Partei in der Region. Ich führte die Liste an und 1978 bekamen wir über 12 Prozent der Stimmen. 1989 -1992 war ich Abgeordneter im Europaparlament und Vizepräsident der Energiekommission. Zuvor und danach vertrat ich die Grünen im Regionalparlament. Doch wir bleiben eine Minderheit. Und manchmal fühle ich mich wie ein Missionar. Aber man will unsere Bedenken nicht hören. AREVA zahlt der Region und den Gemeinden 170 Millionen Euro Steuern jährlich. Für die Gemeinden und das Département hier Manche ist das ein entscheidender Teil der Steuereinnahmen. Als ein Arzt in einer Studie nachwies, dass es hier erhöhte Werte von Kinderleukämie gibt und er dies auch durch Untersuchungen in der Umgebung von Kernkraftwerken in England und Deutschland bestätigt sah, musste seine Präsentation von einem Ort ganz in der Nähe von La Hague nach Cherbourg verlegt werden. Der Bürgermeister des ursprünglichen Präsentationsortes wollte nicht für seine Sicherheit garantieren. Auch wenn unsere Region zwar nicht speziell für die Kernenergie, aber sicher für die Windenergie oder die Nutzung der Wasserkraft durch ein Gezeitenkraftwerk geeignet wäre, bin ich nicht sehr zuversichtlich. Wir werden nochmals versuchen, alle Kräfte gegen die Atomindustrie zu mobilisieren und den Menschen nachhaltige Energiegewinnung schmackhaft machen. L’état d'urgence, der nationale Ausnahmezustand ist ideal für die Atomindustrie. Die Rechte der Zivilgesellschaft sind eingeschränkt und die Atomindustrie hat in La Hague jene Freiheiten zurück, die sie unter der militärischen Geheimhaltung genoss. Leider fühle ich mich bestätigt. Die Demokratie und die Atomindustrie passen einfach nicht zusammen.“



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