Horst-Michael Prasser, Leiter des Lehrstuhls für Kernenergiesysteme an der ETH in Zürich

«Auf Kernenergie wird die Menschheit weiterhin angewiesen sein.»

Horst-Michael Prasser stammt aus Görlitz in der ehemaligen DDR . Er studierte von 1974 bis 1980 am Moskauer Energetischen Institut und promovierte 1984 an der Ingenieurhochschule Zittau mit Strömungsuntersuchungen zu Kernreaktoren. Seit 2006 ordentlicher Professor für Kernenergiesysteme an der ETH Zürich.

Atomkraftwerk Cattenon, Frankreich (Bild: Stefan Kühn)

„Ich unterrichte seit 2008 jährlich zwischen 12 und 15 Studenten an der ETH über Kerntechnik auf ihrem Weg zum „Master of Science in Nuclear Engineering“. Etwa noch einmal soviele Studentinnen und Studenten belegen kerntechnische Fächer auch im Rahmen anderer technischer Studienrichtungen als Wahlfach. Gleichzeitig betreue ich noch ein rundes Dutzend Doktorarbeiten. Bevor die Studenten hier ein Masterstudium als Nuklearingenieur aufnehmen, benötigen sie einen Bachelorabschluss, beispielsweise in Maschinenbau, Physik, Elektrotechnik oder chemischer Verfahrenstechnik. Je nach Vorbildung verlangt eine Kommission, die Kenntnisse zur einen oder anderen Thematik vorher zu vertiefen, bevor sie mit dem Masterstudium beginnen, erklärt Michael Prasser. Studentinnen und Studenten mit einem Bachelor in chemischer Verfahrenstechnik, haben interessanterweise oft die besten Vorkenntnisse, dicht gefolgt vom Maschinenbau. Von 12 bis 15 Studenten sind nur wenige Schweizer. Oft kommen sie aus Deutschland, Frankreich, Italien, USA, China, Südkorea und in Einzelfällen auch aus anderen Ländern. Das Interesse der Schweizer Studenten an der Studienrichtung ist überschaubar, auch wenn die Zukunftsaussichten in beruflicher Hinsicht gut sind – trotz oder gerade wegen des langsamen Ausstiegs. Während ihrer Ausbildung erwerben die künftigen Nuklearingenieure vertieftes Wissen zur Wirkungsweise von Kernkraftwerken, zur nuklearen Sicherheit, über die Kernbrennstoffversorgung und die Abfallentsorgung von der Nutzung der Kernkraft zur Energieversorgung, sie werden über das Potential der Kernfusion informiert und erfahren mehr über den Einsatz der Nukleartechnik in Medizin, Industrie und der Forschung. Zur Ausbildung gehört auch die Betrachtung des Lebenszyklus, der im Falle der Kernenergie von der Uranmine bis ins künftige Tiefenlager reicht. Die Integration der Kernenergie in die globalen Energieversorgungssysteme weitet den Horizont bei der Ausbildung über die Kernenergie hinaus.
Ich stamme aus Dresden und studierte am energetischen Institut in Moskau Kernenergie. Mein Spezialgebiet ist die Strömungsmechanik. Die Ausbildung in der damaligen Sowjetunion fand zwischen 1974 und 1980 statt. In der Begeisterung über die unerschöpfliche Energiequelle machte man sich damals noch zu wenig Gedanken über die Sicherheit. Sie wurden erst später nach dem Unfall in Three Mile Island ausgebaut. In der Schweiz lernte ich eine Sicherheitskultur kennen, die ich sehr hoch einschätze. Schweizer Kernkraftwerken wurden konsequent nachgerüstet. Dafür sorgt auch eine strenge Aufsichtsbehörde, das ENSI. In Schweizer Kernkraftwerken sind zum Beispiel Dieselgeneratoren für die Notstromversorgung schon lange vor Fukushima flutgeschützt aufgestellt gewesen. In Neubauanlagen werden heutzutage Sicherheitssysteme eingebaut, die selbst die Folgen einer Kernschmelze auf die Anlage begrenzen können. Vieles davon lässt sich in Altanlagen nachrüsten, aber leider nicht alles. Sehr bedenklich ist es, dass diese Nachrüstungen nicht in allen Ländern gleichermassen ernst genommen werden. Das Sicherheitsniveau von Neuanlagen lässt sich auch mit Nachrüstungen jedoch nicht ganz erreichen. Deshalb bin ich dafür, dass man rechtzeitig neue Kernkraftwerke baut.
Auf Kernenergie wird die Menschheit weiterhin angewiesen sein, davon bin ich überzeugt. Es ist ein Fehler, die Mittel für den Ausbau der erneuerbaren Energiequellen für einen Ersatz der Kernenergie zu vergeuden, wenn es doch eigentlich darum geht, die fossilen Energieträger so schnell wie möglich zurückzudrängen. Mit dem Verzicht auf neue Kernkraftwerke verliert die Schweiz nach und nach ihre Kompetenz in vielen Bereichen der Technologie, und besonders ihre ehemalige Vorreiterrolle in der Reaktorsicherheit. Sie sendet meiner Ansicht nach das falsche Signal an Länder, die auf Kernenergie setzen wollen.“

Zum Weiterlesen:

Kein Licht im Tunnel