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Es gibt viel zu tun

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Die Europäische Union ist dabei, die entscheidenden gesetzlichen Weichen zu stellen auf dem Weg zum Netto-Null-Emissionsziel 2050. Bis 14. Juli soll ein Gesetzespaket mit einem Dutzend Vorschlägen vorliegen. Das Herzstück, das europäische Emissionshandelssystem, soll wesentlich erweitert werden. Das könnte sehr teuer werden. Es wird deshalb darauf ankommen, sowohl den sozialen Ausgleich als auch jenen zwischen den Mitgliedsstaaten gebührend zu gewichten.

70 Prozent des polnischen Stromes werden mit Kohle erzeugt. In Österreich ist es gerade umgekehrt. 75 Prozent des Stromes werden aus erneuerbaren Energien gewonnen. Es liegt auf der Hand, dass der polnische Weg zur Klimaneutralität weit beschwerlicher sein wird als der österreichische. Und die Energiearmut macht rund 30 Millionen Europäerinnen und Europäern schon heute schwer zu schaffen, wie das Jacques Delors Energie Centre in einem Bericht festhält. Es trifft, wie immer, die Armen. Und weil die Covid 19 – Krise das Ungleichgewicht in den Gesellschaften noch verschärft hat, trifft es sie noch härter. Das Problem ist übrigens in Südeuropa weit gravierender als in den kälteren Ländern im Norden des Kontinents. In Griechenland und Portugal ist jeder fünfte Haushalt nicht mehr in der Lage, adäquat zu heizen und auch zu kühlen. Aber auch 3 bis 4 Millionen Menschen in Frankreich und zwei Millionen in Deutschland sind betroffen. Dazu kommt, dass bereits die halbe Welt, auch die USA, hellhörig geworden ist, als die EU laut darüber nachzudenken begann, eine CO2-Abgabe auf Energie-Importe einzuführen, um zu verhindern, dass besonders klimaschädliche Industrien ins EU-Ausland abwandern, um dem Emissionshandelssystem, das eine stete Verknappung der gehandelten CO2-Zertifikate vorsieht, zu entgehen. Proteste sind vorprogrammiert, die Kompatibilität mit den WTO-Vorschriften in Frage gestellt.

Und nun macht sich die EU unter Ägide des Kommissions-Vizepräsidenten Frans Timmermans unter grossem Zeitdruck an eine Aufgabe, die Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen als «Mission Mann auf dem Mond» beschrieben hatte, das als fast unmöglich Erscheinende in kurzer Zeit wahr zu machen. Der Vergleich mit dem Flug zum Mond ist gut. Denn wie damals in den 1960er-Jahren bleibt ein  knappes Jahrzehnt, um auf Energiewende-Kurs zu kommen. Die EU hat in einem ersten Schritt ihre Klimaziele wesentlich verschärft. Statt um 40 Prozent sollen die CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent (gegenüber 1990) reduziert werden. Und auch wenn einige fragwürdige Hintertürchen eingebaut worden sind, so die Anrechnung von zuwachsenden, aber nicht eigens gepflanzten Wäldern, oder die zumindest vorübergehende Zulassung von Gas und Atomkraft als Übergangsenergie zur Gewinnung von Wasserstoff, so ist das Ziel des Staatenbundes mit 450 Millionen Einwohnern dennoch weltweit das ambitionierteste, von einzelnen Staaten, unter ihnen neuerdings Deutschland, abgesehen, die noch weiter gehen wollen.

Doch nun ist die Zeit der Absichtserklärungen, denen viel zu wenige Taten folgen, vorbei. Es geht ans Eingemachte in einem innerhalb der Europäischen Union im ausserordentlich komplexen Gesetzgebungsprozess. In einem Interview auf Euractiv.de umriss Timmermans seine Absichten: «Wir werden den Mitgliedstaaten im Wesentlichen sagen: Ihr habt alle dem Ziel minus 55 Prozent zugestimmt. Das hat Konsequenzen, und deshalb wollen wir ein ausgewogenes Paket in allen Bereichen. Jetzt liegt es an euch, im Dialog mit den Mitgesetzgebern zu sehen, ob diese Balance etwas ist, mit dem ihr leben könnt – oder ob wir sie hier und da verändern sollten.“ Zwölf Vorschläge soll das Gesetzespaket umfassen, das sich im Wesentlichen um das seit 2005 bestehende Emissionshandelssystem ETS drehen wird. Dieses umfasst derzeit um 15'000 besonders energieintensive Kraftwerke, Fabriken und die innereuropäischen Flüge, insgesamt etwa 40 Prozent des CO2-Ausstosses. Nun sollen neben der Schiffahrt auch der Strassenverkehr und die Gebäude in ähnlichen Handelssystemen integriert werden – eine Verteuerung ist damit nicht auszuschliessen. Ausgleichsmassnahmen sollen dafür sorgen, dass Energie auch für die ärmeren Bevölkerungsschichten leistbar bleibt. Zudem, so Timmermans, habe ETS gezeigt, dass «man weniger zahlen muss, wenn man es gut oder besser macht». Das ETS biete ein «starkes Anreizsystem». Nicht erwähnt hatte er, dass die Verteuerung praktisch unausweislich ist. Denn das System sieht eine laufende Verknappung der vergebenen CO2-Zertifikate vor. CO2 wird damit laufend verteuert. Jahrelang hatte ETS wegen viel zu niedrig angesetzter CO2-Preise etwa in Deutschland dazu geführt, dass sich Kohlekraftwerke deshalb rechneten, weil die Betreiber sich mit spottbilligen Zertifikaten freikauften. Emissionsärmere, aber teurere Gas-Kombi-Kraftwerke hatten das Nachsehen. Doch die Energiezukunft gehört den Erneuerbaren. Und die sollen immer billiger werden, quasi im Minutentakt, wie Timmermans im Interview zuspitzte. Mit der Ausweitung des ETS-Systems soll diese Entwicklung nun noch zusätzlich befördert werden. Das ist zweifellos ein richtiger Ansatz, denn das Ziel ist es ja, praktisch komplett aus den nicht erneuebaren Energien auszusteigen. Doch das wird niemals ausreichen. Deshalb soll, auf Länderniveau, auch mit Regulierungen und Steuern gearbeitet werden. Das ist eine schwierige Mission, etwa, wenn CO2-Steuern eingeführt werden sollten, um den Ausstieg aus Kohle und Erdöl zu befördern, gerade in jenen Ländern die noch stark auf diese Energien setzen. Und es muss ganz massiv in die Infrastruktur investiert werden, von Ladesäulen für Elektroautos bis Übertragungsnetzen, die der gewaltig gesteigerten Stromproduktion gewachsen sind.

Auf der globalen Bühne steht die Europäische Union mit der geplanten Einführung einer Grenzabgabe für CO2, andere würden es Zoll nennen, in der Kritik. Das sei Protektionismus, lautet der hauptsächliche Vorwurf. Tatsächlich geht es der EU darum, die Industrien vor einer Abwanderung ins Ausland zu hindern, indem die billigere ausländische Konkurrenz mit diesen Abgaben aussen vor gehalten werden soll. Man strebe aber auf jeden Fall eine Abgabe an, die WTO-kompatibel sei, sagt Timmermans. Und man sei sich bewusst, dass es nur gelingen werden, die Entwicklungs- und Schwellenländer ins Klimaboot zu holen, wenn die Industriestaaten nicht nur Pioniere, sondern auch Unterstützer seien: Ein globaler Lastenausgleich, wie er bislang nur in Ansätzen besteht. Die Mission «Mann im Mond» hat begonnen.