Beznau I: Der älteste Atomreaktor der Welt steht seit zweieinhalb Jahren still

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Der mit 48 Dienstjahren älteste Atomreaktor der Welt, Beznau I, seht seit zweieinhalb Jahren still. Es geht um Materialfehler am Reaktordruckbehälter, deren Harmlosigkeit in Frage steht. Es dürfte noch mindestens ein weiteres halbes Jahr dauern, bis das Kraftwerk wieder ans Netz geht. Wenn überhaupt.


«Kernkraftwerk Beznau: Zuverlässige und klimafreundliche Stromproduktion»: So übertitelt der Schweizer Axpo-Konzern, der den Nordostschweizer Kantonen gehört, eine Broschüre zum ältesten Kraftwerkspark der Welt. Die beiden Reaktoren, Beznau I und II, gingen 1969 und 1971 ans Netz. Während der jüngere nach einem mehrwöchigen Betriebsunterbruch für Prüfungen und Inspektionen sowie der Erneuerung von Anlagekomponenten im nicht-nuklearen Teil der Anlage und dem Austausch eines Teils der Brennstäbe eben wieder ans Netz ging, steht der ältere seit März 2015 still. Es begann mit einer routinemässigen Abschaltung, um die Betriebssicherheit zu prüfen. Im Sommer wurden mit Ultraschall am Reaktordruckbehälter Hunderte von Materialfehlern entdeckt. Seither betont die Axpo gebetsmühlenartig, es bestünden «keine sicherheitsrelevanten Vorbehalte für den sicheren Weiterbetrieb». Die Axpo kann gar nicht anders. Denn jeder noch so kleine Zweifel an der Sicherheit des Reaktordruckbehälters aus 17 Zentimeter dickem Stahl würde das Aus für Beznau bedeuten. Das Kernstück jedes AKW kann nicht ausgetauscht und auch nicht repariert werden.

Der Reaktordruckbehälter beim Einbau 1965 (Bild: Axpo)

Doch es will und will nicht gelingen, das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI davon zu überzeugen. Zuerst war die Rede von Einschlüssen, die beim Schmieden des Behälters 1965 entstanden und deshalb keine Folge der jahrzehntelangen Verstrahlung im Reaktorkern waren. Doch das will zuerst einmal bewiesen sein. Und diese Beweisführung ist das Problem. Ein im November 2016 eingereichter Sicherheitsnachweis auf Basis von Versuchen an einem Nachbau des Druckbehälters wurde zurückgewiesen, das ENSI verlangte weiter Materialprüfungen und Berichte. Derzeit prüft eine internationale Expertenkommission den aktualisierten Sicherheitsnachweis. Das Problem ist die unvermeidliche Versprödung des Stahls. Ein Bruch der Hülle würde eine Kühlung des Reaktors verunmöglichen. Die Folgen könnten katastrophal sein. Die Axpo muss nachweisen, dass die bereits vorhandene Versprödung und die Einschlüsse kein relevantes Sicherheitsrisiko darstellen. Simone Mohr, Senior Reseracher Nukleatechnik am Ökoinstitut Darmstadt kann sich nicht vorstellen, dass dies gelingt, wie sie gegenüber dem Magazin «Energie & Umwelt» sagte. Die Methoden, mit denen Axpo den Nachweis führen wolle, «reduzieren die Sicherheitsmargen, sind nicht ausreichend validiert und unter Umständen aufgrund der Randbedingungen nicht anwendbar». Die Axpo gibt sich derweil weiter optimistisch. Als neues Datum für die Wiederinbetriebnahme wird Ende Februar 2018 genannt. Denn: «Es bestehen keine sicherheitstechnischen Vorbehalte gegenüber dem Weiterbetrieb der Anlage.»

Es drohen hohe Verluste
Für die Axpo hätte eine endgültige Abschaltung von Beznau I gravierende finanzielle Folgen. Bereits summieren sich die Verluste durch die Stilllegung auf 300 Millionen Franken. Der grössere Teil davon kommt vom Strom, der zugekauft werden muss. Doch auch die Investitionen der vergangenen Jahre von rund 700 Millionen Franken dürften noch lange nicht amortisiert sein. Die Axpo hatte denn auch vor kurzem noch ernsthaft erwogen, das AKW Beznau für einen symbolischen Franken zu verscherbeln – und sich damit aller finanziellen und technischen Verpflichtungen zu entledigen. Inzwischen, heisst es aus der Konzernzentrale, stehe man wieder zu Beznau und glaube an dessen Zukunft. Den Meinungsumschwung bewirkt haben leicht gestiegene Strompreise, die ein positives Jahresergebnis erwarten lassen.

Politischer Seiltanz
Auf der politischen Bühne spielt sich derweil ein Seiltanz ab, der mit der Sicherheit des AKW’s nur noch am Rande zu tun hat. Beat Flach, Nationalrat der Grünliberalen, verlangt in einer parlamentarischen Initiative, dass die Betriebsbewilligung für AKW, die mehr als zwei Jahr stillstehen, ausgesetzt werden und neu eingereicht werden müssten. Dann ginge es nicht mehr nur um einzelne betriebliche Komponenten wie den Reaktordruckbehälter, sondern ums Ganze. Die parlamentarische Initiative ist das stärkste Instrument, das Parlamentsmitglieder in der Hand haben. Sie können damit direkt einen Gesetzestext einbringen, brauchen aber natürlich auch die entsprechenden Mehrheiten. Und danach sieht es in rechtsbürgerlich dominierten grossen Kammer gar nicht aus. Der Christdemokrat Stefan Müller-Altermatt, Präsident der Energiekommission des Nationalrates, argumentierte im «TagesAnzeiger», eine solche Gesetzesänderung würde den betroffenen Unternehmen einen «massiven wirtschaftlichen Schaden» verursachen. Die Axpo kommentierte, dies würde einen Verstoss «gegen die Eigentumsgarantie, die Wirtschaftsfreiheit und den Vertrauensschutz» bedeuten. Von Schadenersatz sprach der Konzern nicht, aber es wäre die logische Folge einer solchen Beurteilung. Müller-Altermatt meinte in faktischer Umkehrung der Verhältnisse auch, das ENSI hätte möglicherweise seinen Entscheid schneller gefällt, wenn es eine Zwei-Jahres-Guillotine gäbe. Dieser politisch motivierte Druck mache deshalb keinen Sinn.

Blick in das Reaktorgebäude von Beznau I während der Bauarbeiten 1967 (Bild: Hans Baumann, Comet Photo AG, ETH-Bildarchiv)


Quellen:


Axpo-Broschüre zum AKW Beznau:


https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/neuer-angriff-auf-die-atomkraftwerke/story/28249258?utm_source=SES-Newsletter&utm_campaign=1303800be8-SES+Newsletter+September+2017&utm_medium=email&utm_term=0_849ff70334-1303800be8-147246077#mostPopularComment

Magazin Energie und Umwelt 3/2017 «Aktenzeichen AKW ungelöst» zum Download:


Kernschmelze

  • Kernschmelze

    Nach dem Abschalten eines atomaren Reaktors wird zwar die Kernspaltung unterbunden, aber der radioaktive Zerfall der bei der Kernspaltung entstandenen Spaltprodukte dauert an. Nach einer Stunde macht dies noch etwa ein Prozent der thermischen Leistung des Reaktors aus. Im Falle des Schweizer Atomkraftwerks Mühleberg sind das 36 Megawatt, und auch nach zehn Tagen hat die sogenannte Nachzerfallswärme noch eine Leistung von über 7 Megawatt. Das entspricht 3600 Heizlüftern mit einer Leistung von 2 Kilowatt – die in einem Raum von der Größe eines Schlafzimmers aufgestellt sind. Knapp zehn Tonnen Wasser verdampfen bei dieser Leistung – pro Stunde. Dieses Kühlmittel muss deshalb auch nach dem Abschalten noch für längere Zeit kontinuierlich dem Reaktorkern zugeführt werden. Wird diese Kühlung unterbrochen, droht die Kernschmelze. Ist sämtliches Kühlwasser verdampft, beginnen sich die Brennelemente sehr schnell aufzuheizen. Nach einigen Stunden schmilzt der Brennstoff, der Reaktorkern ist zerstört. Dabei kann hochradioaktives Material entweichen und Mensch und Umwelt gefährden. Ein solcher Unfall wird als Super-GAU bezeichnet.

Mensch + Energie

Vor dem Hintergrund der aktuellen „Energiewende“-Debatten möchten wir einen kritischen Diskussionsbeitrag leisten für all jene, die mehr wissen wollen zum Thema Energie. Und wir möchten einen Beitrag leisten, die tiefen ideologischen Gräben zu überwinden, die Befürworter und Gegner trennen. Denn die Wahrheit wird bei diesem Thema sehr schnell relativ bzw. relativiert, man bewegt sich auf einem Feld, in dem sich Experten, Meinungsmacherinnern, Ideologen, Betroffene, Opfer, Lobbyisten, Politikerinnen und Weltenretter tummeln. Sie alle sollen zu Wort kommen, sie sollen von ihrer Wahrheit erzählen, der Wahrheit des Strahlenopfers ebenso wie jener des Kraftwerkbetreibers, des Befürworters und der Gegnerin.

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