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Deutschlands Atomausstieg auf Kurs, aber noch nicht am Ziel

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In keinem anderen Land der Welt hat der Super-GAU von Fukushima den Atomausstieg so beschleunigt wie in Deutschland. Schon Ende nächstes Jahr werden die letzten drei von 2011 noch 17 AKW’s abgeschaltet. Der Think-Tank Agora Energiewende zieht eine Zwischenbilanz. Das Fazit: Es wurde erstaunlich viel erreicht. Es gab weder Stromlücken noch -blackouts, es kam zu keinem Kohleboom, erneuerbare Energien haben den Wegfall des Atomstroms um mehr als Doppelte kompensiert. Aber es gibt noch viel mehr zu tun.

Sechs Atomkraftwerke mit einer Kapazität von 8,53 Gigawatt sind derzeit in Deutschland in Betrieb. Noch. Denn schon Ende dieses Jahres werden die Atommeiler Grohnde, Brokdorf und Grundremmingen C, Ende 2022 dann Isar2, Neckarwestheim2 und Emsland abgeschaltet. Dann wird, nach 62 Jahren, die zivile Nutzung der Atomenergie in Deutschland Geschichte sein. Diese sechs AKW’s haben in den Jahren 1985 bis 1989 ihren Betrieb aufgenommen. Sie wären damit in allen anderen Ländern der Welt, die Atomkraftwerke betreiben, im besten Alter, und niemand zweifelt daran, dass sie ohne weiteres noch Jahre betrieben werden könnten. Doch während in Ländern wie die den USA inzwischen von Laufzeiten bis zu 100 Jahren die Rede ist, macht Deutschland Schluss. Es war nach dem Super – Gau von Fukushima ein politischer Entscheid, vorangetrieben von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die erkannt hatte, dass in einem Land, dessen Bevölkerung seit dem Super – Gau von Tschernobyl 1986 sich gegen die Atomkraft gewandt hatte, mit einer atomfreundlichen Politik kein Blumentopf mehr zu gewinnen war. Merkel stiess Parteifreunde und Atomlobby vor den Kopf und drückte den Ausstieg aus der Atomenergie bis Ende 2022 durch, was noch ambitionierter war als das Ausstiegsziel der rot-grünen Vorgängerregierung, das nach Merkels Amtsantritt stark aufgeweicht worden war. Seither ist Deutschland das Experimentierfeld für eine Energiewende, die heute weltweit in aller Munde ist. Denn das Land befreit sich nicht nur aus der Abhängigkeit vom Atom, sondern auch jener noch weit stärkeren der Kohle. Bis 2038 wird auch die Kohleverstromung eingestellt.

Der Think Tank Agora Energiewende zieht in einer Präsentation eine Zwischenbilanz des Atomausstiegs und seiner Folgen. Schon im August 2011 wurden die ältesten acht Atommeiler mit einer Kapazität von 8,4 Gigawatt vom Netz genommen, seither sind drei weitere mit 4,15 GW abgeschaltet worden. Die Atomstromproduktion hat sich damit mehr als halbiert. Der Vergleich der Jahre 2010 und 2020 zeigt ein Minus von 76,3 Terrawattstunden. Das ist deutlich mehr als der Jahresstromverbrauch der Schweiz. Im Zehnjahresvergleich ging aber auch die Produktion von Strom aus Steinkohle (minus 54,2 TWh) und Braunkohle (minus 74,5 TWh) zurück. Ausgeglichen wird dieser Produktionsrückgang durch den Ausbau erneuerbarer Energien, die um 149,5 TWh  zugelegt haben, während Gas nur um 2,3 TWh zugenommen hat. Dazu kommt für das Jahr 2020 ein Minderverbrauch von 60,5 TWh, der allerdings teilweise corona-bedingt ist. Diese Bilanz widerlegt die damals vor allem in Wirtschaftskreisen befürchtete Stromlücke. Vor allem Windkraft- und Photovoltaikanlagen haben gewaltig zugelegt. Der Anteil des Windstroms am Strommix stieg von 6 % 2010 auf 19 % 2020, Photovoltaik steigerte sich von 2 auf 9 %, und auch Biomasse wuchs um 4 auf 9 Prozent. Atomkraft ging von 22 auf 11 % zurück, Steinkohle von 19 auf 7, Braunkohle von 23 auf 16 %, Erdgas stieg von 14 auf 16 %. Die C02-Emissionen sinken seit 2015 deutlich. So haben die Braunkohlekraftwerke in den letzten fünf Jahren ihren Ausstoss um 65 auf 92 Gramm C02 pro Kilowattstunde reduziert. Insgesamt sind diese Emissionen im Vergleich mit 2010 um knapp 200 auf 361 g CO2 / kWh gesunken. Der drastische Rückgang in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts hat politische Gründe. Erst seit die Preise für CO2-Emissionen deutlich zugelegt haben, sind die Kohle-Emissionen zurückgegangen. Bemerkenswert ist, dass die Strom-Ausfallzeiten im Jahr 2019 die niedrigsten der letzten 10 Jahre waren. Und bemerkenswert ist auch, dass die Strompreise für die privaten Kunden nach einem starken Anstieg in den Jahren 2010 bis 2013 seither nur noch ganz leicht zugelegt haben. Verantwortlich für die Preissteigerungen zeichnet wiederum die Politik und nicht der Atomausstieg. Die Quersubventionierung der erneuerbaren Energien schlägt derzeit mit 7,9 Eurocents pro Kilowattstunde zu Buche – bei einem Gesamtpreis von 30,8 %.

Das ist eine beeindruckende Bilanz, die Kritikerinnen und Kritiker des Atomausstiegs eindrücklich widerlegt. Doch es ist eine Zwischenbilanz. Um die bis Ende 2022 wegfallenden 76,3 Terrawattstunden Atomstrom kompensieren zu können, muss der Ausbau erneuerbarer Energien nochmals deutlich vorangetrieben werden. So rechnet Agora Energiewende bei den Photovoltaikanlagen mit einem notwendigen Zubau von 10 Gigawatt jährlich in diesem Jahrzehnt. Davon subventioniert ist lediglich die Hälfte. Bei der Windkraft werden jährlich 5,5 GW benötigt. Nur knapp 60 Prozent davon profitieren von der Erneuerbare Energien – Umlage. Die Zukunft hat danach erst begonnen.