Zum Glück gibt es GPS. Das Labor von ACRO in Hérouville St Clair, einem Vorort der Normandie-Metropole Caen wäre praktisch unauffindbar gewesen. Vorbei an einer Garage und einigen sehr provisorisch wirkenden Gebäuden weist plötzlich eine unscheinbare Messingtafel auf das Labor hin, das sich hinter dem etwas sperrigen Namen L’Association pour le Contrôle de la Radioactivité dans l’Ouest (Verband für die Kontrolle der Radioaktivität im Westen, ACRO) versteckt. Der Eintritt erfolgt durch die Hintertüre, und schon steht der Besucher im Labor. Hier stapeln sich Säckchen und Dosen. Es ist das angelieferte Material, das gewogen, gesäubert, neu verpackt und etikettiert wird. Es wird auf seine Radioaktivität hin untersucht- wenn Zeit dafür bleibt. „Es eilt nicht“ erklärt ACRO-Präsident David Boilley ironisch. „Wenn radioaktive Substanzen dabei sind, strahlen sie auch noch morgen und wahrscheinlich in Tausenden von Jahren.“
Gegründet wurde ACRO kurz nach der Katastrophe von Tschernobyl. Der Grund war die unbefriedigende Informationspolitik in Frankreich. Während in Deutschland vor dem Konsum gewisser Lebensmittel gewarnt wurde, wollte man dies in Frankreich aus politischen Gründen nicht an die grosse Glocke hängen. Das Land war zu tief in die Abhängigkeit der Nuklearenergie geraten. Angefangen hatte dies mit dem Drang, Atommacht zu werden. Die Kombination von militärischen und wirtschaftlichen Interessen und die Unterstützung breiter gesellschaftlicher Kreise liess ein atomfreundliches Klima entstehen. Das wollte man nicht gefährden. Die Menschen sollten nicht zu sehr über die Gefahren atomarer Strahlung nachdenken. Deshalb war Tschernobyl in Frankreich offiziell kein Problem. Damit wollten sich junge Wissenschaftler nicht abfinden und gründeten ACRO im Oktober 1986 in Caen.
Plutonium über Americium nachweisbar
Gefährlich ist die Laborarbeit nicht. Es sind keine hohen Strahlendosen zu erwarten. Es geht einzig um Nachweise, ob Cäsium-137 dabei ist, was auf den Ursprung von Tschernobyl hinweist, oder Tritium entdeckt wird, das in etwas grösseren Mengen in der Umgebung der Wiederaufbereitungsanlage La Hague vorkommt, oder Americium, das ein Indikator für Plutonium ist. Denn Plutonium direkt nachzuweisen ist schwierig. Es geschieht so auf indirektem Weg. Hinzu kommen eine Reihe anderer radioaktiver Stoffe, die auf bestimmte Kernkraftwerke hinweisen, aber Materialien, die natürliche Ursprünge haben können. Bevor die Labormitarbeiter diese untersuchen können, müssen sie sehr trocken sein. Bei Algen kann dieser Trocknungsprozess bis zu einer Woche, bei Pilzen mehrere Tage dauern. Ausserdem müssen Materialien mit maritimen Ursprung vom Meerwasser befreit werden. „Wenn wir Meerwasser selber untersuchen, destillieren wir es vorher. Es geht wie bei der bleiverdichteten Apparatur darum, den Einfluss der natürlichen Strahlung zu verhindern. Schliesslich können im Meerwasser Isotope verschiedener Elemente vorhanden sein“, erklärt Boilley. Wenn das Material vorbereitet ist, wird es stundenlang gemessen. Auf dem Computerbildschirm wird die Strahlung in Form von Balken sichtbar. Jedes Element hat seine eigene charakteristische Strahlung. Es ist für die Mitarbeiter deshalb nicht schwierig, sie zuzuordnen. Die zwei Vorrichtungen messen Beta- und Gamma-Strahlen. Zu den Beta-Strahlern gehört beispielsweise Tritium, auch Cäsium-137 ist ein Beta-Strahler. Die Apparaturen im ACRO-Labor sind nicht ganz billig, seit der Katastrophe von Fukushima hat sich der Preis der Messgeräte verdreifacht.
Diskussionsgrundlage
ACRO untersucht auch immer mehr landwirtschaftliche Produkte. Der Nachweis von Radioaktivität ist das Tagesgeschäft, und nur wenn sehr hohe Messwerte nachgewiesen werden, ist dies den Zeitungen eine Meldung werden. David Boilley stellt fest, dass die Menschen etwas abgestumpft sind. Dennoch hält er die Messungen von ACRO für sehr wichtig. «Sie bilden eine unzweifelhafte Grundlage, auf der dann diskutiert werden kann, was gefährlich ist und was nicht.»
Zum Weiterlesen:
David Boilley, Nuklearphysiker, Präsident ACRO: "Messen und informieren"