Wenn ein Flugzeug abstürzt?

geschrieben von  Martin Arnold

Radioaktive Abfälle sind für die Endlagerung zu heiss. Sie müssen deshalb jahrzehntelang zur Abkühlung zwischengelagert werden. Dazu werden sie in Spezialbehälter verpackt, die unter dem Begriff Castoren bekannt sind. Das Zwischenlager (Zwilag) der Schweiz befindet sich in Würenlingen im Kanton Aargau.

Seit 2001 lagert das Zwilag im Schatten des bekannten Paul Scherrer Institutes verpackte Brennelemente. Der Eingang ist gut gesichert: Ein doppeltes Tor und eine hydraulische Strassenblockade bilden ein erstes Hindernis. Die Rezeption wird von Sicherheitspersonal betrieben. Ein freundlicher, aber bestimmter Mitarbeiter fotografiert die Iris und scannt die Handvenen, die ein weiteres Identifikationsmerkmal sind. Es braucht mehrere Versuche. Die Atmosphäre eines Hochsicherheitsgefängnisses ist zu spüren. Das gilt auch für das Innere der Zwilag-Gebäude. Kameras und eine automatische Personenzählung überwachen alle Anwesenden. Mit Grund: Im Lager stehen 40 Behälter mit hochradioaktiven, abgebrannten Brennelementen und Abfall aus der Wiederaufbereitung. Die zylinderförmigen Behälter entlassen durch die Aussenwände während 40 Jahren Wärme, so dass sie nach 20 Jahren noch wie eine Heizung wirken, wenn man sie berührt. Die Endlagerung kann erst beginnen, wenn sie auf die Umgebungstemperatur abgekühlt sind. Auf rund 20 Metern Höhe schwebt ein Betondach, aus dem die Wärme entweichen kann. Berechnungen zufolge könnten hier 200 Behälter gelagert werden. Was, wenn ein Flugzeug abstürzt? „Es würde durch das Dach brechen, aber die Behälter widerstehen einem Flugzeugabsturz“, erklärt Walter Heep, Geschäftsführer des Zwilag. Die sechs Meter hohen Behälter lagern hier während 40 Jahren. Es ist eine buchstäblich bunte Schar, darunter der erste Castor-Behälter überhaupt. In ihm lagern die abgebrannten Brennelemente aus dem Forschungsreaktor Diorit, der zwischen 1960 und 1977 vom Paul Scherrer Institut betrieben wurde. Einige blaue, individuell geformte Gefässe umhüllen die letzten radioaktiven Reste aus dem Versuchsreaktor Lucens im Kanton Waadt, bei dem es nach kaum einjähriger Betriebsdauer am 21. Januar 1969 zu einer teilweisen Kernschmelze kam. Ununterbrochen überwachen Livekameras der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) die meist menschenleere und etwas gespenstische Szenerie. Wer sich in den Gebäuden des Zwilag bewegen will, muss dies mit einer autorisierten Zugangsberechtigung tun, und das Lagergebäude ist durch eine zusätzliche Schleuse abgesichert. Besucher können nur durch zwei Schaufenster einen Blick auf die Behälter mit ihrem tödlichen Inhalt werfen. Gegründet im Jahr 1980, ist das Zwilag eine ganz normale Aktiengesellschaft und gehört den Kernkraftwerk-Betreibern. Sie wird aus dem Fonds alimentiert, aus dem die Atomkraftwerkbetreiber die Entsorgung der radioaktiven Abfälle bezahlen. Die Arbeitsplätze beim Zwilag seien durchaus begehrt, auch wenn der Dosimeter ein ständiger Begleiter sei, erklärt Walter Heep. Beim Zwilag werden neben hochradioaktiven Abfällen in den Castoren auch Fässer mit mittel- und schwachaktiven Inhalt gelagert. Zwischen den einzelnen Anlageteilen verkehrt ein Rollbahnsystem, das mit einem Drehsystem wie bei einer Lokremise funktioniert. Auf diesem Weg werden die 200-Liter-Fässer mit den schwach radioaktiven Abfällen unbemannt transportiert. Auch sie werden strengstens kontrolliert. Ein Barcode gibt Auskunft über den Inhalt. Die Sicherheit ist auch während des Transportes grossgeschrieben. Selbst wenn ein Behälter von Beznau über zwei Kilometer zum Zwilag transportiert wird, kontrollieren Mitarbeiter sämtliche Daten über den Inhalt des Behälters beim Verlassen des Kernkraftwerkes und bei der Ankunft im Zwischenlager. Allerdings ist der Transport eines Abfallbehälters in das Zwischenlager auch kein alltäglicher Routinevorgang. Pro Jahr kommen höchstens ein bis zweimal hoch- oder mittelaktive Abfälle aus einem Schweizer Kernkraftwerk oder aus der Wiederaufbereitung in La Hague an. Die Schweiz ist verpflichtet, ihre Abfälle aus der Wiederaufbereitung in Frankreich wieder zurückzunehmen.

20 000 Grad heiss
Neben der Lagerung übernimmt das Zwilag weitere Aufgaben. So werden hier auch oberflächlich leicht radioaktive Bauteile von Atomkraftwerken gereinigt, dekontaminiert und recycliert. Das ist bei über 80 Prozent der Gegenstände möglich. Für die Dekontamination steht eine sogenannte Konditionierungsanlage zur Verfügung, wo die Mitarbeiter meist Baukomponenten aus Kernkraftwerken behandeln, damit sie als konventioneller Abfall entsorgt oder wiederverwertet werden können. Dabei werden chemische oder elektrolytische Verfahren verwendet. Manchmal werden die Gegenstände auch mit einem Wasserdruck von bis zu 2000 Bar abgespritzt. Verbleibende radioaktive Rückstände werden in der Plasma-Anlage bei bis zu 20 000 Grad Hitze eingeschmolzen. Bei dieser weltweit einzigartigen Entwicklung lässt sich zwar nicht die Radioaktivität beseitigen, aber das Materialvolumen um bis zu 80 Prozent verkleinern. Zudem werden organische Stoffe vernichtet, damit sie bei der späteren Endlagerung keine Gase mehr bilden können. Die Abfälle aus der Plasma-Anlage werden unter Beimischung von Glas in endlagerfähiges Material gegossen.
Wenn in der Schweiz eines Tages keine Kernkraftwerke mehr betrieben werden, warten hochgerechnet auf eine Laufzeit von 50 Jahren rund 100 000 Kubikmeter radioaktive Abfälle auf ihre Endlagerung. Zehn Prozent von ihnen sind hochradioaktiv, also äusserst gefährlich, und müssen für mehr als 200 000 Jahre sicher vergraben werden. Wegen der teuren Lagerung unter der Erde ist es gegenwärtig das Ziel, die Abfallmenge klein zu halten. Im Prinzip trägt auch die Wiederaufbereitung in La Hague oder Sellafield zur Verkleinerung der hochradioaktiven Abfallmenge bei. Das Verfahren ist jedoch umstritten, denn es entsteht dabei bombentaugliches Plutonium. Auch die sogenannte Transmutations-Technologie ist noch nicht über den Labormassstab hinausgekommen. Die Idee dahinter ist die Umwandlung langlebiger, giftiger Radionukleide in kurzlebigere und weniger toxische Stoffe. Dann müssten die ehemals hochradioaktiven Abfälle nur noch etwa 1500 Jahre sicher gelagert werden. Allerdings wurde bisher noch kein Nachweis der technischen Realisierbarkeit einer solchen Anlage erbracht. Doch zurück zum Zwilag: Zu einem Zwischenlager gehört auch eine Heisse Zelle. In diesem flugzeugabsturzsicher gebauten Gebäude können Lagerbehälter überprüft, repariert oder Brennelemente umgeladen werden. Schließlich kann hier der hochradioaktive Abfall auch in Transport- oder Lagerbehälter umgepackt werden, die dereinst im Endlager benötigt werden. Das Geschäftsziel des Zwilag ist nämlich dann erreicht, wenn die letzten Behälter in der Tiefe versenkt sind. Das dauert allerdings noch Jahrzehnte, denn nach heutigen Plänen kann in der Schweiz mit der Tiefenlagerung voraussichtlich erst 2050 begonnen werden.

Geologisches Tiefenlager

  • Geologisches Tiefenlager

    Zu einem geologischen Tiefenlager gehören sowohl die Oberflächen-Anlage als auch die in mehreren hundert Metern Tiefe im Wirtgestein liegende Anlage, in der die radioaktiven Abfälle in Stollen oder Kavernen mithilfe passiver Sicherheitsbarrieren [siehe auch Geologische Barriere] dauerhaft von Mensch und Umwelt isoliert werden.

Castorbehälter

  • Castorbehälter

    Behälter zur Aufbewahrung und zum Transport radioaktiven Materials. Castor ist ein geschützter Name der Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS). Ein gefüllter Castorbehälter wiegt 110 bis 125 Tonnen. Die Herstellung eines Castorbehälters kostet rund 1,5 Millionen Franken. Zur Aufbewahrung radioaktiver Materialien werden auch noch andere Behälter benutzt. Alle müssen aber dieselben technischen Anforderungen erfüllen. Sie weisen beispielsweise mehrere Druckräume auf.

Bis in die Ewigkeit: Ausschnitt aus dem empfehlenswerten Dokumentarfilm "Into Eternity" (2010)

Mensch + Energie

Vor dem Hintergrund der aktuellen „Energiewende“-Debatten möchten wir einen kritischen Diskussionsbeitrag leisten für all jene, die mehr wissen wollen zum Thema Energie. Und wir möchten einen Beitrag leisten, die tiefen ideologischen Gräben zu überwinden, die Befürworter und Gegner trennen. Denn die Wahrheit wird bei diesem Thema sehr schnell relativ bzw. relativiert, man bewegt sich auf einem Feld, in dem sich Experten, Meinungsmacherinnern, Ideologen, Betroffene, Opfer, Lobbyisten, Politikerinnen und Weltenretter tummeln. Sie alle sollen zu Wort kommen, sie sollen von ihrer Wahrheit erzählen, der Wahrheit des Strahlenopfers ebenso wie jener des Kraftwerkbetreibers, des Befürworters und der Gegnerin.

Kernfusion

  • Kernfusion

    Bei der Kernfusion verschmelzen in einer Kettenreaktion zwei Atomkerne zu einem neuen Kern. Es ist dieser Prozess, der auch die Sonne in einen leuchtenden Stern verwandelt. Konkret verschmelzen bei extrem hohen Temperaturen die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium zu einem Heliumkern. Dies unter Freisetzung eines Neutrons und Energie. Diese Fusionsreaktion ist die Ursache für die Zerstörungskraft von Wasserstoffbomben. Seit Jahrzehnten experimentieren Forscher damit, sich dieses unglaubliche Energiepotenzial zunutze zu machen. Bislang verbrauchten die Kernfusionsversuche mehr Energie, als sie einbrachten. In Südfrankreich befindet sich der Fusionsreaktor Iter im Bau, der ab 2020 im großen Umfang Informationen über die weitere Entwicklung dieser Technologie geben soll. An dem 16 Milliarden Euro teuren Experiment sind zahlreiche Länder beteiligt. Es ist eine offene Frage, ob die Kernfusion tatsächlich einmal Strom für den Massenkonsum bringen kann. Auf jeden Fall wird dies noch Jahrzehnte dauern.

Aus mensch-und-atom.org wird mensch-und-energie.org

 

header neumenschundatom2 

 

 

Eine Initiative des 

Logo neu2

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.