Müdigkeit, Energielosigkeit, Depressivität – das sind Frühsymptome einer Uran-Vergiftung. Vergangenes Jahr waren mehrere Hundert Menschen in Deutschland und der Schweiz davon betroffen. Wie kommt das Uran in den menschlichen Körper? Und warum ist es so gefährlich?
Anfang 2017 wurden im Urin von 39 untersuchten Schweizern unüblich hohe Mengen Uran gefunden. Im Raum Düsseldorf wurde in 250 Urinproben ebenfalls ein Uran gefunden. „Wir konnten das nicht glauben und haben dann erst gedacht: Es könnte ein systemischer Fehler sein bei dem Labor, wo wir’s bestimmten. Also bei dem renommierten amerikanischen umweltmedizinischen Labor“, erzählt Thomas Carmine, Schweizer Facharzt für Allgemeinmedizin im Interview mit dem SWR2. „Vor und nach diesem Zeitraum war kaum mehr Uran zu finden. Die Patienten wohnen verstreut.“ Wie kam es zu den hohen Uranmengen im Urin der betroffenen Personen?
Natürliche Uranvorkommen im Granit
Um zu verstehen, wie Uran in den menschlichen Körper kommen kann, muss man verstehen, was es mit dem Schwermetall auf sich hat. Uran ist ein natürlicher, im Erdboden vorkommender radioaktiver Stoff aus der Entstehungszeit des Universums. Es kommt in unterschiedlichen Konzentrationen und Verbindungen in Gesteinen und Mineralien, im Wasser, im Boden und in der Luft vor. In einer Tonne Gestein finden sich zwei bis vier Gramm Uran. In Graniten sind es vier Gramm pro Tonne - auch in Ton- und Sandsteinen. In Abhängigkeit von den jeweiligen Bodenverhältnissen können die Urangehalte von Region zu Region variieren. In Deutschland und der Schweiz sind die größten natürlichen Konzentrationen im Granit. Mehr als 99 Prozent dieses Natur-Urans besteht aus dem Isotop Uran 238, das im Urin der erkrankten Patienten gefunden wurde.
Gebunden in Phosphor – lebenswichtigem Düngemittel
Uran gelangt aber auch durch den Menschen in die Umwelt, zum Beispiel über mineralischen Phosphatdünger. Phosphat bindet natürlich vorkommendes Uran an sich – so stark, dass es auch als Mittel zur Dekontamination von radioaktiv verseuchten Böden eingesetzt wird. Beim Aufbereitungsprozess zum markttauglichen Dünger wird das Uran zusätzlich angereichert. Und Phosphor ist ein für alle Organismen lebensnotwendiger Mineralstoff. Ein Mensch besteht aus etwa 700 Gramm Phosphor. Um nicht an Mangelerscheinungen zu erkranken, muss er daher am Tag rund 0,7 Gramm Phosphor mit der Nahrung aufnehmen. Phosphor ist auch essentieller Hauptnährstoff für das Pflanzenwachstum. Ohne ausgeglichene Düngung kommt es zu Mangelerscheinungen an der Pflanze. Phosphor wird daher landwirtschaftlichen Böden regelmäßig und in kontrollierten Mengen durch Düngung zugeführt- inklusive des radioaktiven Urans, in teilweise hohen Mengen.
Uran auf Äckern gefährlich
Wie viel Uran in mineralischem Phosphatdünger ist, hängt vom Urangehalt der Phosphatlagerstätte ab. Im Durchschnitt sind 291.2 mg Uran im Kilogramm Phosphat enthalten, schreibt das Schweizer Bundesministerium für Landwirtschaft. In der „Zeit“ hat Ewald Schnug, Professor an der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig errechnet, dass ein durchschnittlicher Bauer auf seinem Feld pro Hektar und Jahr mit dem Dünger bis zu 21 Gramm Uran verstreut. Es gebe keinen Grund anzunehmen, dass es in der Schweiz anders sei, sagte Schnug. „Wenn schon viel da ist, scheint es mir nicht sonderlich klug, noch mehr obendrauf zu kippen.“ Der Landwirtschaftsboden sei schließlich keine Deponie für Schwermetalle, aber er kann durch unbedachtes Düngen dazu werden - und stellt so eine Gefahr für Mensch und Umwelt dar.
Denn Uran ist ein sogenannter Alphastrahler, der zwar nur eine sehr geringe Reichweite hat, dafür eine sehr hohe Energie. Bei der Aufnahme von kontaminierten Nahrungsmitteln kann die Strahlung unsere Zellkerne treffen und die DNA schädigen. „Mehrere Studien legen nahe, dass Kinder von mit Uran belasteten Eltern sehr wahrscheinlich ein größeres Risiko haben, mit Missbildungen geboren zu werden“, weil Uran die Erbsubstanz schädigen kann, sagte Thomas Carmine, Schweizer Allgemeinmediziner dem SWR2. Zudem sei belegt worden, dass Uran das Risiko erhöht, an Knochenkrebs zu erkranken. Die teilweise sehr hohen Uranwerte im Urin seiner Patienten hat Thomas Carmine mit einem Schwermetall Provokationsverfahren gefunden. Dabei bekommt der Patient eine Infusion mit chemischen Zusätzen, sogenannten Chelaten. „Die holen die Schwermetalle aus dem Knochenmark, aus der Niere vor allem, aus der Leber, aus dem Blut und leiten sie über die Niere aus. Die holen die Schwermetalle dort raus, wo sie festsitzen.“ Auf diese Weise tauchen die Schwermetalle im Urin auf.
Symptome einer Uranvergiftung
Der Allgemeinmediziner Thomas Carmine erzählt dem SWR2 weiter: „Die ersten Symptome einer Uranvergiftung sind Müdigkeit, längere Erholungszeiten nach Sport, eine gewisse Depressivität kann auftreten. Das sind Frühsymptome. Die treten auf, bevor Organe geschädigt werden. Wenn Sie natürlich höhere Konzentrationen haben von Uran, dann kann das heißen, dass sie auch Organe nachhaltig schädigen können. Vor allem die Nieren oder das Knochenmark oder die Leber und auch das Nervensystem natürlich.“ Eine Betroffene, Maria Walter, berichtet dem SWR2: „Ich fühle mich sehr schnell müde, außerordentlich müde. Es ist also ein großer Unterschied von der Müdigkeit heute zu früheren Müdigkeiten“ Eine weitere Patientin sagt: „Ich hatte öfters Kopfschmerzen, Müdigkeit. Ich konnte nicht gut schlafen.“ Die Ursache für den hohen Urangehalt Anfang 2017 im Urin der Schweizer und Deutschen wurde bis heute nicht gefunden. Liegt es nahe, dass Nahrungsmittel aus mit Uran belasteter Landwirtschaft daran schuld sind?
Uranmengen weit über tolerablem Wert
Die WHO hat einen Tolerable Daily Intake (TDI)-Wert für Uran abgeleitet. Dieser Wert gibt an, welche Menge eines Stoffes ein Mensch sein Leben lang täglich aufnehmen kann, ohne dass gesundheitliche Risiken zu befürchten sind. Er wurde auf politischen Druck hin mehrmals nach oben korrigiert. Für die Aufnahme von Uran wurden 0,6 µg/kg Körpergewicht und Tag ermittelt. „Ein 80 Kilo schwerer Erwachsener sollte also täglich weniger als achtzig Millionstel Gramm Uran aufnehmen. 2012 ergab eine Studie des Schweizer Bundesamts für Landwirtschaft, dass allein in einem Kilogramm Phosphor-Dünger die mehr als tausendfache Menge vorkommen kann. Das zeigt, wie sorglos tonnenweise kontaminierter Dünger auf Äckern ausgebracht wird“, schreibt der SWR2.
Lesen Sie im zweiten Teil unseres Beitrags kommende Woche, wie die verantwortlichen Behörden zum Einsatz von Uran in Düngemitteln für die Landwirtschaft stehen und warum es bisher weder Grenzwerte noch Kennzeichnungspflicht gibt.
Quellen:
SWR2 Manuskript zur Sendung „Risiko Uran – Die schleichende Vergiftung“ von Peter Jaeggi (2018)
Factsheet „Schwermetalle in Phosphordüngern“ des Schweizer Branchenverbands SBV (2016)
Bericht Marktkampagne 2011/2012 des Schweizer Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW)