Die Welt ist gespalten in die Habenichtse und die (schier) Allmächtigen mit ihren Vasallen. Die einen haben nichts zu bieten als die moralische Kraft des Appells an die gemeinsame Verantwortung, die anderen belauern sich seit Jahrzehnten gegenseitig in einem Gleichgewicht des Schreckens und sind gerade dabei, auch noch die letzten Hemmschwellen, die sie aufgebaut haben, niederzureissen, um eine neue Runde der nuklearen Aufrüstung einzuläuten.
Da kommt die Meldung, dass der Atomwaffenverbotsvertrag am 22. Januar 2021 in Kraft getreten ist, wie ein Weckruf. «Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, unter keinen Umständen jemals Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper zu entwickeln, zu erproben, zu erzeugen, herzustellen, auf andere Weise zu erwerben oder zu lagern…» heisst es da im ersten Artikel des Vertragswerks. Mit einem Wort: Atomwaffen sind verboten. Für die Unterzeichnerstaaten ist das ein vergleichsweises leichtes Unterfangen. Sie besitzen allesamt keine Atomwaffen und sind auch keinerlei Verpflichtungen eingegangen, welche zu stationieren oder zu sanktionieren. Der Atomwaffenverbotsvertrag bringe «mehr Schaden als Nutzen», titelte die «Neue Zürcher Zeitung, um sich als Stimme der Allmächtigen zu positionieren. Es gebe für die Atommächte und deren Verbündete «keine Möglichkeit, ihre Sicherheitsinteressen ohne nukleare Abschreckung zu verteidigen.» Deshalb seien gerade die europäischen Staaten, die sich unter den Schutzschirm der westlichen Atommächte stellten, gut beraten, nicht beizutreten – wie wenn sie je gefragt worden wären. Österreich hat es trotzdem getan und das Abkommen ratifiziert. Die Schweiz und Schweden haben unterzeichnet, auf die Ratifizierung aber vorerst verzichtet. Gerade die neutralen Staaten könnten aber eine wichtige Rolle spielen auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt, so utopisch das aus heutiger Sicht anmuten mag – selbst als Habenichtse.
Denn die Atommächte sind alle gefangen in einem Muster, das Abschreckung heisst, und noch mehr: Misstrauen. Und das ist heute so gross wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Daran tragen Diktatoren wie der stalinistische Herrscher Nordkoreas, Kim Il-Sung, für den die Atombombe seine Macht auf dem Feld der internationalen Politik festigt ebenso Schuld wie der russische Allzeitpräsident Vladimir Putin, der keine Gelegenheit auslässt, seines neuesten Atomraketen zu präsentieren und damit die Modernisierung des Arsenals, und der eben aus dem Amt geschiedene US-Präsident Donald Trump, der es fertig gebracht hat, alles aufzukündigen, was als vertrauensbildende Massnahme getaugt hätte, namentlich das mühsam ausgehandelte, von allen Grossmächten mitgetragene Atomabkommen mit dem Iran, und das «New Start» - Abkommen mit Russland, das nun am 5. Februar ausläuft. Sein Nachfolger Joe Biden will alles unternehmen, «New Start» zu retten, um wenigstens eine minimale Abrüstungsvereinbarung aufrechtzuerhalten. Auch auf das Iran-Abkommen will Biden zurückkommen, aber die wieder aufgenommene Uranreicherung im Iran, Bombenattacken auf Forschungszentren und auch die Rhetorik aus Teheran lassen wenig Spielraum für Hoffnung.
Es wird Jahre brauchen, das zerstörte Vertrauen wiederherzustellen, und es sieht auch danach aus, dass weder Amerikaner noch Russen daran denken, ihre Erneuerungspläne für ihre Atomwaffenarsenal auch nur zu überdenken. Vor diesem Hintergrund mag man einwenden, die Weltverbessererinnen und Moralisten der Internationalen Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen (ICAN), die für ihr Engagement den Friedensnobelpreis erhalten haben, seien naiv und verkennten die Realität. Doch welchen Schaden soll es anrichten, die Stimme der Habenichtse zu erheben. Von einem atomaren Weltkrieg sind sie nicht minder betroffen, und wenn die Umfragen stimmen, dann ist gerade in Europa die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung gegen Atomwaffen eingestellt. Das sind die ermutigenden Zeichen, die es, bei allem Realismus, auch zu sehen gilt.