Gefährliche Verklappung oder harmloses Einleiten?

Von der havarierten Atomanlage Fukushima Daiichi soll kontaminiertes Wasser aus über 1000 Tanks in den Pazifik geleitet werden. (Bild: Christian Aslund/EyeEM) Von der havarierten Atomanlage Fukushima Daiichi soll kontaminiertes Wasser aus über 1000 Tanks in den Pazifik geleitet werden. (Bild: Christian Aslund/EyeEM)

 

Nächstes Jahr soll das kontaminierte Wasser aus der Atomanlage Fukushima Daiichi in den Pazifik geleitet werden. Umweltschützer, Fischer und Anrainerstaaten wehren sich. Die Atomindustrie sieht in der Verklappung kein Problem.

 

Ab nächstem Jahr sollen über eine Zeitspanne von etwa 30 Jahren rund 1.37 Millionen Kubikmeter verdünntes Kühlwasser aus der Atomanlage Fukushima Daiichi in den Pazifik geleitet werden. Seit der Katastrophe im Jahr 2011 müssen die Brennstäbe der Reaktoren kontinuierlich gekühlt werden. Somit sollen weitere Kernschmelzen und die radioaktive Verseuchung der Umwelt verhindert werden. Dadurch fällt aber immer mehr Kühlwasser an, das gelagert werden muss. Zusätzlich dringen Regen- und Grundwasser in die Anlage ein. Das verunreinigte Wasser wird nach und nach durch ein Filtersystem namens ALPS, Advanced Liquid Processing System, gereinigt. Doch auch das Wasser, das diesen Prozess durchläuft, muss wiederum in neue Tanks gefüllt werden. Insgesamt stehen 1066 Stück davon auf dem Gelände des havarierten Atomkraftwerks. Ein Grossteil davon wird für das behandelte Wasser genutzt.

 

Der Platz auf dem Gelände geht laut Tepco, der ehemaligen Betreiberin der Anlage, aus. Als Antwort darauf kündigte Japan im April 2021 eine Strategie an, wie mit dem behandelten Wasser weiter verkehrt werden soll. Der Plan sieht vor, dass es durch einen 1km langen Tunnel in den Pazifik geleitet wird. Unterstützt werden die japanischen Behörden durch die Internationale Atomenergiebehörde IAEA. Diese soll das Vorgehen anhand eigener Sicherheitsstandards vor, während und nach der Einleitung überprüfen und somit Sicherheit und Transparenz schaffen.

 

Transparenz gehörte bisher nicht zu den Stärken von Tepco. So erwähnte das Energieversorgungsunternehmen nie, dass bei Einleitungen von Kühlwasser ins Meer auch das Radionuklid Tritium enthalten ist. Die Einleitung von verdünntem Wasser mit einer niedrigen Tritiumkonzentration ist in der Atomindustrie zwar eine etablierte Praxis. Nun befürchten die japanische Fischereiindustrie sowie Anrainerstaaten wie China und Südkorea aber, dass bei der Verklappung des Kühlwassers hochradioaktive Stoffe in die Gewässer fliessen, die auch sie tangieren könnten. Die Kontrahenten des Vorhabens sind aufgrund der misslungenen Kommunikation von Seiten Tepcos in der Vergangenheit misstrauisch gegenüber den veröffentlichten Daten und Werten. Zudem werfen sie den Behörden vor, die günstigste Variante im Umgang mit den radioaktiven Stoffen gewählt zu haben.

 

Das Unternehmen begründet die Verklappung damit, dass andere Optionen wie Geosphäreninjektion, Wasserstofffreisetzung und unterirdische Vergrabung zu viele ungelöste Fragen offenlassen. Deshalb seien laut einer Tepco-Studie aus dem Jahr 2020 die Einleitung ins Wasser oder die Freisetzung der Stoffe als Dampf die praktikabelsten Optionen. Da der Dampf aber durch den Wind weniger kontrollierbar ist als das Wasser bei der Verklappung, soll das Kühlwasser in den Pazifik eingeleitet werden.

 

 

Umweltschützer und Atomindustrie sehen die Situation unterschiedlich

Wie auch viele andere Umweltschutz-Organisationen wehrt sich Greenpeace gegen die Verklappung des Kühlwassers. Interne Tepco-Dokumente sollen beweisen, dass unterschiedliche radioaktive Stoffe auch durch die Reinigung im ALPS-System nicht auf «nicht nachweisbare» Mengen reduziert werden können, bestätigt Shaun Burnie, leitender Nuklearspezialist bei Greenpeace Deutschland, gegenüber der Deutschen Welle. Unter diesen Stoffen sollen sich unter anderem Strontium-90 und Radiokarbon befinden. «Das sind beides Stoffe, die sich einlagern», sagt Iris Menn. Die Meeresbiologin ist Geschäftsführerin von Greenpeace Schweiz. Laut ihr können sich diese Stoffe z.B. auch in Fischen und marinen Säugetieren einlagern, wodurch sie in der gesamten marinen Nahrungskette weitergeleitet werden können.

 

Horst-Michael Prasser, emeritierter Professor für Kernenergiesysteme an der ETH Zürich, meint jedoch, die Einleitung sei unproblematisch. «Da kommt es auf die Konzentration an. Das ist wie Paracelsus sagte: ‘Alles ist Gift, es kommt nur auf die Menge an’», sagt Prasser. Er betont, dass er sich nur auf die von Tepco veröffentlichten Werte beziehen kann. Prasser sieht das Ganze eher als Kommunikationsproblem. Laut Tepco sollen alle Stoffe ausser Tritium so lange neu gefiltert werden, bis gefährliche Mengen unterschritten werden. Dies bestätigt das Tokioter Energieunternehmen auf Anfrage selbst. Wasser, das diese Werte überschreitet, soll das Filterverfahren erneut durchlaufen, «so dass diese Anlage die meisten Radionuklide mit Ausnahme von Tritium entfernen kann», schreibt ein Stellvertreter des Tepco-Kommunikationsbüros im schriftlichen Interview. Aufgrund des Tritiums werde das Wasser stark verdünnt, was auch eine reduzierte Konzentration an Radiokarbon und anderen Stoffen im Wasser zur Folge habe. 

 

Die schlammigen radioaktiven Abfälle, die aus der Filterung resultieren, werden in hochsicheren Behältern zwischengelagert, aus denen Lecks unwahrscheinlich seien, schreibt Tepco. Das Wasser soll aus dem Schlamm entfernt werden. Ein Aufbereitungslager sei zudem in Planung. Der trockene Schlamm wird nach der Behandlung in Zwischenlagern für feste Abfälle untergebracht. In Zukunft sollen die Brennelemente und radioaktiven Trümmer aus der Anlage entfernt werden. Deshalb sei es «notwendig, die Nutzung des Kernkraftwerks Fukushima Daiichi zu maximieren, um die Stilllegung sicher und stetig voranzutreiben», so Tepco. Dafür müssen neue Lager sowie Anlagen für Analysen verschiedener Proben her. «Diese Einrichtungen müssen an Ort und Stelle gebaut werden», meint ein Vertreter der ehemaligen Betreiberin des AKWs. Man werde nur begrenzten Platz für Wasserspeicher haben. Die Tanks könnten zukünftige Arbeiten erheblich behindern. Deshalb soll das Wasser im Pazifik landen. Wann und wie die geschmolzenen Brennelemente entfernt werden, ist noch nicht bekannt. Das bedeutet, dass auch weiterhin verstrahltes Wasser behandelt und gelagert werden muss.

 

Wasser könnte sich im gesamten Pazifik verbreiten

«Es gibt durchaus andere Möglichkeiten», sagt Iris Menn. Man sage immer es gebe keinen Platz für die Tanks. Dieser Platz könne aber geschafft werden. «Das ist ein Investment und ein Aufwand. Deshalb ist es einfacher für Tepco, das Wasser ins Meer zu lassen», ergänzt die Meeresbiologin. Das Wasser sei nicht so sauber wie gesagt wird. Zudem werde es nicht nur verdünnt, sondern auch durch die Meeresströmungen verteilt. In einem Artikel im National Research Review zeigen Forscher auf, wie sich das Wasser verteilen könnte. Einmal auf makroskopischer Ebene, einmal werden die Wege der einzelnen Partikel unter die Lupe genommen. Aufgrund der starken japanischen Meeresströmungen zieht das verklappte Wasser ostwärts bis zur Westküste der USA. Später könnten Teile davon durch den Äquatorialstrom auch in die südliche Hälfte des Pazifiks, den indischen Ozean und bis nach Australien gelangen.

 

«Wir haben unabsehbare Folgen für die Umwelt. Durch die Strömungen gelangen die Stoffe in andere Ökosysteme, wie Korallenriffe. Besonders in flachen Gebieten mit feinem Sand lagern sich Stoffe gut ab», sagt Iris Menn. Greenpeace fordert die Umsetzung des Vorsorgeprinzips. Sonst müsse das Ökosystem zuerst geschädigt werden, damit negative Folgen nachgewiesen werden können. «Deshalb sollte die Beweislast umgekehrt werden. Solange nicht bewiesen werden kann, dass das marine Ökosystem nicht geschädigt wird, sollte das Wasser auch nicht eingeleitet werden», so die Umweltaktivistin. «Die Verursacherinnen und Verursacher stehen hier in der Pflicht, nicht die Umweltschützerinnen und Umweltschützer», ergänzt sie.

 

Tepco möchte die Folgen der Verklappung durch Untersuchungen an marinen Organismen – wie Flundern, Schalentieren und Meeresalgen ­– testen. Vor der Einleitung des Wassers werden sie in zwei Tanks unterteilt. Einer beinhaltet Meerwasser aus der Umgebung und ein anderer wird mit dem gefilterten und verdünnten Kühlwasser gefüllt. Nach der Verklappung sollen marine Organismen verglichen werden, die in Bereichen leben, die das eingeleitete Wasser beinhalten.

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