«Noch wird jede Kilowattstunde Solarstrom dringend gebraucht»

Die Staumauer am Muttsee ist dank ihrer Ausrichtung, Infrastruktur und Höhenlage für eine Solaranlage gut geeignet. (Bild: Simon Michael) Die Staumauer am Muttsee ist dank ihrer Ausrichtung, Infrastruktur und Höhenlage für eine Solaranlage gut geeignet. (Bild: Simon Michael)

 

Um den Ausbau von Photovoltaik-Anlagen korrekt zu gestalten, muss abgewogen werden, wo Anlagen entstehen können. Christof Bucher, Professor für Photovoltaiksysteme, spricht im Interview über das Potenzial der Solarenergie in der Schweiz.

 

Photovoltaik-Anlagen sind im Trend. Die hohen Strompreise, Elektromobilität im Auftrieb und der Wunsch nach einer krisensicheren Energieversorgung in der Energiewende sind einige der Hauptgründe für die hohe Nachfrage. Allein im Jahr 2021 stieg der Zubau von Solaranlagen um 43 Prozent auf einen Höchstwert von 683 Megawatt. Das macht fast einen Fünftel der Solarenergie im Land aus. Die Schweizer Bevölkerung hat das Potenzial der erneuerbaren Energiequelle entdeckt. Swissolar prognostiziert für dieses Jahr einen Zubau von 850 bis 900 Megawatt. Gäbe es keinen Personalmangel und Lieferengpässe in der Branche, könnten diese Zahlen noch höher sein. Besonders Industrie- und Gewerbebauten sowie auch Einfamilienhäusern setzen neuerdings auf PV-Anlagen.

 

Die heutige Leistung reicht jedoch bei weitem noch nicht aus. Für den Ausstieg aus der Atomkraft und den fossilen Energien muss sie sich um den Faktor 13 erhöhen – so viel, wie wenn 40 Prozent der bestehenden Dachflächen in der Schweiz bedeckt wären. Dafür müssen auch die richtigen Rahmenbedingungen her. So soll beispielsweise ab 2024 eine Lehre in der Solarbranche möglich sein. Auch auf politischer Ebene steht Photovoltaik hoch im Kurs.

 

Ständerat nutzt Gletscher-Initiative für Solaroffensive

Der Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative wurde letzte Woche vom Ständerrat gutgeheissen. Der Gesetzesentwurf enthält neben dem Netto-Null-Ziel für CO2-Emissionen auch Förderprogramme für neue Technologien und jährlich 200 Millionen Franken für den Ersatz fossiler Heizungen. Der Ständerat setzt gleichzeitig auch eine Solaroffensive durch. Diese wird in der laufenden Session aber getrennt von der Gletscher-Initiative behandelt. Die Solaroffensive bringt den forcierten Ausbau von Solaranlagen auf Neubauten und befristet erleichterte Bewilligungen für Anlagen in den Bergen mit sich. Damit soll auch der Bau der beiden alpinen Anlagen bei Gondo und Grengiols im Wallis vorangetrieben werden.  Erstere soll 23 Gigawattstunden pro Jahr produzieren, letztere ganze 2000 Gigawattstunden. Die Hälfte davon soll auf den Winter entfallen, womit 1000 der 2000 Gigawattstunden gefunden wären, die zur Deckung einer möglichen Winterlücke so dringend gesucht werden. Das Geschäft wird nun vom Nationalrat behandelt und soll noch in der Herbstsession verabschiedet werden. Ein Referendum der Schweizerischen Volkspartei ist nahezu sicher.  

 

Dächer haben das grösste realistische Potenzial

Photovoltaik ist ein Grundpfeiler der Schweizer Energiezukunft. Swissolar peilt bis 2050 das Ziel von 45 Terrawattstunden Solarstrom pro Jahr an. Um den Ausbau korrekt zu gestalten, muss abgewogen werden, wo die Anlagen überall entstehen können. Genau das hat Prof. Dr. Christof Bucher getan. Der Professor für Photovoltaiksysteme an der Berner Fachhochschule hat in einem Paper verschiedene Studien zusammengefasst, die die Potenziale unterschiedlicher Anlagetypen untersucht haben. Da es sich um Potenziale handelt, sind die Zahlen aber mit Vorsicht zu geniessen. Laut Bucher kann die Photovoltaik die Schweiz mit genügend Energie versorgen. Die Stromversorgung im Winter könne sie allein nicht gewährleisten. Durch Solarstrom können Stauseen aber besser gefüllt und die Stromnetze entlastet werden.

 

 

Die grösste Rolle spielen wohl Solaranlagen auf Dächern, Fassaden, Infrastruktur, aber auch in der Landwirtschaft und dem Alpenraum. Freiflächen hätten ein grosses Potenzial, dessen Nutzung aber in Konflikt mit dem Landschaftsschutz sowie anderen Nutzungen steht. Für schwimmende Anlagen gibt es in der Schweiz keine Zukunft. Christof Bucher erklärt im Interview, welche Rolle die Photovoltaik in der Schweiz spielen kann.

 


Christof Bucher ist Leiter des Labors für Photovoltaiksysteme an der Berner Fachhochschule. (Bild: bfh)

 

Die Solaranlage am Staudamm des Muttsees hat eine Leistung von 2.2 Megawatt und soll 3.3 Gigawattstunden pro Jahr produzieren. Das ist so viel, wie im Durchschnitt 825 4-Personen-Haushalte in der Schweiz verbrauchen. Die Anlage wird von Denner für seine Filialen genutzt. Ist die die grösste alpine Anlage der Schweiz ein Beispiel für die künftige Nutzung der Photovoltaik?

Die Anlage ist ein gutes Beispiel, da sie einen sehr hohen Ertrag hat – auch im Winter. Aufgrund der Schneereflektion sind die Erträge höher als bei uns im Flachland. Die Anlage ist an einem Stausee gebaut. Die Zahl der Stauseen, insbesondere der Stauseen, die nach Süden ausgerichtet sind, ist jedoch sehr begrenzt. Das Potenzial für identische Anlagen ist sehr klein. Trotzdem ist sie eine Vorzeigeanlage für ähnliche PV-Anlagen in den Bergen.

 

Alpine Anlagen sollen nicht sehr wirtschaftlich sein. Wieso ist das so?
Sie sind teurer als PV-Anlagen im Flachland. Es gibt viele Gründe dafür. Der Untergrund im alpinen Raum ist in der Regel anspruchsvoller oder inhomogen – also hügelig und felsig. Man wird sie entweder individuell mit Felsen verschrauben, Fundamente graben oder betonieren müssen, was viel teurer ist. Ein anderer Grund ist die Zugänglichkeit: Bis das Material und die Maschinen da sind, kann das sehr teuer sein. Vielleicht muss man dafür noch Strassen oder Seilbahnen bauen oder mit einem Helikopter hinfliegen. Ein dritter Grund, der vor allem für kleinere Anlagen relevant ist: Die elektrische Erschliessung. Oft sind in diesen alpinen Regionen keine oder nicht genügend starke Stromanschlüsse vorhanden. Die elektrische Infrastruktur muss zuerst zur Anlage hingebaut werden. Bei kleinen Anlagen kann das die Wirtschaftlichkeit stark negativ beeinflussen.

 

Nicht nur die Kosten, sondern auch die Energieerträge sind höher. Ein Teil dieser Mehrkosten kann damit kompensiert werden. Diese Anlagen haben einen sehr viel höheren Ertrag im Winter als im Sommer. Im Winter sind die Börsenstrompreise höher als im Sommer. Die Anlagen produzieren mehr hochwertigen Strom. Auch das kann einen Teil der Mehrkosten kompensieren. Ob die Anlagen wirtschaftlich sind oder nicht, kann man nicht pauschalisieren und nur im Einzelfall sagen. Bisher war es aber so, dass die meisten Mehrkosten nicht kompensiert werden konnten, weil einfach die Strompreise zu tief waren, insbesondere im Winter. Im Moment sind die Strompreise extrem hoch. Wenn die Preise so bleiben, dann ist vermutlich jede alpine PV-Anlage wirtschaftlich. Auch wenn sich die Preise irgendwo dazwischen einpendeln, werden sicherlich einige Anlagen wirtschaftlich sein.

 

Wären solche Anlagen für die Versorgungssicherheit nicht sinnvoll?

Absolut. Deshalb fordern viele auch Subventionen oder staatliche Hilfe. Die Anlagen sind längerfristig nicht unbedingt wirtschaftlich. Wir wissen aber, dass wir für die Versorgungssicherheit solche Anlagen brauchen. Die Versorgungssicherheit ist für die Öffentlichkeit, deshalb soll die Öffentlichkeit das zahlen. Das ist nicht zwingend meine Meinung, aber heute durchaus ein legitimer Gedankengang.

 

Laut einer Studie der ZHAW hat die Agri-Photovoltaik ein Potenzial von 10-18 Terrawattstunden pro Jahr. Aufgrund von Beschlüssen des Bundes ist Solarenergie in der Landwirtschaft aber eingeschränkt. Gibt es eine Möglichkeit, dass sie in Zukunft eine stärkere Rolle spielen wird?

Das Potenzial ist aufgrund der verfügbaren Fläche sehr gross. Es müsste nur ein kleiner Teil davon genutzt werden, um die Jahresbilanz der Schweizer Stromversorgung sicherzustellen. Wir brauchen nur wenige Flächen, um bereits sehr viel zu erreichen. Vorderhand sind das vor allem Flächen für Spezialkulturen, die sowieso einen Witterungsschutz brauchen. Ich denke, dass man grosse Flächen erschliessen kann, wenn man diesen Schutz aus Photovoltaikanlagen erstellt.

 

Freiflächen gibt es in der Schweiz viele. Es können aber nicht alle genutzt werden. Was für ein Potenzial könnte man hier schätzen? Die denkbaren 2000 Terrawattstunden pro Jahr scheinen kaum erreichbar.

Das theoretische Potenzial ist riesengross. Wir wissen aber, dass wir den grössten Teil dieses Potenzials nicht erschliessen wollen. Weil das Potenzial aber so gross ist, sollte es berücksichtigt werden.

 

Auch Photovoltaik auf Infrastruktur hat ein begrenztes Potenzial. Weshalb? Und wo könnten solche Anlagen entstehen?

Bei der Infrastruktur denke ich an Lärmschutzwände, Hangsicherungsanlagen wie z.B. Tunnelportale, Bahnhöfe, Bahngleise und Perrondächer. Die versiegelte Fläche in der Schweiz ist etwa vier Mal grösser als die Gebäudegrundfläche. Ein Grossteil davon sind Strassen oder Parkplätze. Die Infrastruktur ist sehr vielfältig. Das macht eine Erschliessung für Photovoltaik anspruchsvoll. Wenn man das von Anfang an mitdenkt oder pro Infrastruktur-Typ – z.B. Buswartehäuschen oder Velounterstände an Bahnhöfen – die Flächen nutzt, kann das Potenzial effizient erschlossen werden.

 

In welchen Anlagen sehen Sie die meiste Zukunft?

Zwischen den Anlagen gibt es keine Konkurrenz ­– noch wird jede Kilowattstunde Solarstrom dringend gebraucht. Das heisst, dass man alle gleichzeitig bauen kann. Es gilt, Wege für alle Optionen zu öffnen. Ich selbst sehe das grösste Potenzial nach wie vor auf den Dächern. Gleichzeitig sollte man bei der Infrastruktur mehr tun. Heute finde ich, dass vor allem Agri-PV, aber auch die alpinen Anlagen berücksichtigt und gepusht werden sollten. In den schwimmenden Anlagen sehe ich weniger Potenzial. Auch Fassadenanlagen sind wertvoll für die Winterstromversorgung. Dort sind die Skalierung nach oben und die Beschleunigung des Ausbaus jedoch begrenzt, da Fassadenanlagen oft nur im Zusammenhang mit Sanierungen oder Neubauten erstellt werden können. Das ist an Gebäude- und Sanierungszyklen gebunden.

 

 

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