Vajdim Shilko, Journalist, Luninez, Weissrussland

„Tschernobyl ist Geschichte. Leider.“

Vajdim Shilko ist stellvertretender Chefredakteur der unabhängigen Wochenzeitung Progulka, die in der 25‘000 Einwohner-Stadt Luninez im Süden Weissrusslands mit einer Auflage von 12‘000 Exemplaren (davon 2‘000 Abonnenten) erscheint. Shilko verlor seine Arbeit an einem staatlichen Museum, als er als Korrespondent der Zeitung wurde. Seither ist er in der 12-köpfigen Redaktion tätig.

„Die Katastrophe in Tschernobyl geschah am 26. April 1986. Davon erstmals offiziell erfahren haben wir in Luninez eine Woche später, die 1. Mai – Aufmärsche hatten wie gewohnt stattgefunden. Da war schon rund ein Viertel des gesamten radioaktiven Niederschlags niedergegangen. Doch auch als es offiziell wurde, gab es seitens der Behörden kein Wort über radioaktives Jod, das sich da schon in den Schilddrüsen breit gemacht hatte. Selbst die ersten Umsiedlungen wurden zu Beginn noch verheimlicht. Bis sich auch das nicht mehr verschweigen liess. Der Zynismus war gross. Die Entschädigungen, die damals ausbezahlt wurden, galten allgemein als Sarggeld. Seither leben wir mit der Strahlung. Heute scheint Tschernobyl weit weg, immer mehr Land wird wieder zur Besiedlung und Bewirtschaftung freigegeben, die Behörden betonen bei jeder Gelegenheit, alles sei in Ordnung, wir bräuchten uns keine Sorgen mehr zu machen. Aber die meisten Menschen hier sind müde. Ich verstehe das: Man kann nicht in ständiger Angst leben, vor allem dann, wenn man gar keine Möglichkeit hat, wegzuziehen. So wollen viele nichts mehr hören von den Gefahren der Strahlung. Sie haben andere Sorgen. Die Lebenshaltungskosten haben sich nahezu verdoppelt, viele haben keine Arbeit. Da geht es ums Überleben im Hier und Jetzt, nicht um die Gefahr von Krebserkrankungen in einer fernen, unsicheren Zukunft. So lenkt man sich, so gut es geht, ab, oder man entwickelt einen Glauben an das Schicksal, dem wir nicht entrinnen können. Das hat vielleicht auch mit unserer Geschichte zu tun. Die Weissrussen haben im 20. Jahrhundert gelitten wie kaum ein anderes Volk. Vielleicht haben wir dabei kollektiv eines verinnerlicht: Geduld. Tschernobyl ist Geschichte. Leider. Nur vor diesem fatalistischen Hintergrund ist es möglich, dass ausgerechnet Weissrussland ein Atomkraftwerk baut, das erste auf weissrussischem Boden. Für mich ist das ein Verbrechen am weissrussischen Volk.“


Mensch + Energie

Vor dem Hintergrund der aktuellen „Energiewende“-Debatten möchten wir einen kritischen Diskussionsbeitrag leisten für all jene, die mehr wissen wollen zum Thema Energie. Und wir möchten einen Beitrag leisten, die tiefen ideologischen Gräben zu überwinden, die Befürworter und Gegner trennen. Denn die Wahrheit wird bei diesem Thema sehr schnell relativ bzw. relativiert, man bewegt sich auf einem Feld, in dem sich Experten, Meinungsmacherinnern, Ideologen, Betroffene, Opfer, Lobbyisten, Politikerinnen und Weltenretter tummeln. Sie alle sollen zu Wort kommen, sie sollen von ihrer Wahrheit erzählen, der Wahrheit des Strahlenopfers ebenso wie jener des Kraftwerkbetreibers, des Befürworters und der Gegnerin.

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