Taissa Mazkewitsch, Deutschlehrerin, Djatlowitschi, Weissrussland

«Wir lehren die Kinder, mit Tschernobyl zu leben»

Taissa Mazkewitsch ist seit 1981 Deutschlehrerin an der allgemeinbildenden Mittelschule in Djatlowitschi im Süden Weissrusslands. Eigentlich wäre sie mit 58 Jahren schon pensioniert. Aber sie arbeitet, auch aus finanziellen Gründen, weiter.
«Von vielen der Kinder, die ich heute unterrichte, waren schon die Eltern bei mir. Die waren selbst noch Kinder gewesen, als es zur Katastrophe von Tschernobyl kam. Viele, auch enge Freunde von mir, zogen weg, die Sowjetunion zerfiel, Weissrussland wurde unabhängig, die Hoffnung war gross. Heute leben wir in einem Land, das kaum freier ist als zuvor. Und wir leben mit der Strahlung. An dieser Schule werden fast 400 Kinder und Jugendliche von der ersten bis zur elften Klasse unterrichtet. Sie kommen nicht nur aus Djatlowitschi, sondern auch aus den umliegenden Dörfern, und die allermeisten bleiben den ganzen Tag an der Schule. Tschernobyl und die Folgen, das ist in den staatlichen Lehrbüchern nur noch ein Thema am Rande. Im Deutsch-Lehrbuch umfasst es im Kapitel Ökologie gerade mal eine halbe Seite, und die Schilderung erinnert eher an eine Naturkatastrophe als an einen vom Menschen verursachten Super-Gau. Überhaupt taugen unsere Lehrbücher kaum für einen modernen Unterricht. Ich schere mich nicht gross darum, und selbstverständlich sitzen wir in meinen Klassenzimmer im Kreis, die Schülerinnen und Schüler müssen nicht ständig zur Lehrerin und zur Wandtafel blicken. Ich räume Tschernobyl im Unterricht viel mehr Platz ein, und wir behandeln an dieser Schule nicht nur die Katastrophe und ihre Folgen, sondern möchten auch vermitteln, auf was es im alltäglichen Leben zu achten gilt, um die radioaktive Belastung auf ein Minimum zu reduzieren. Wir lehren, mit Tschernobyl zu leben. So bringen wir den Kindern bei, wie sie unser Radiometer zur Messung der Belastung von Lebensmitteln bedienen, wir zeigen ihnen auch, wie sie Gemüse so rüsten, dass möglichst wenig an Radionukliden drin bleiben, und wir erklären ihnen, worauf sie beim Pilze oder Beeren sammeln achten müssen, etwa all jene Stellen zu meiden, die zu stark belastet sind, und die Waldfrüchte danach zu kontrollieren. Das ist hier überlebenswichtig. Regelmässig werden die Kinder auch auf ihre akkumulierte Körperdosis überprüft. Heute kommt es Gott sei Dank nur noch selten zu zigfacher Überschreitung des als noch vertretbar erachteten Wertes von 20 Becquerel pro Kilogramm Körpergewicht. Früher hatten wir regelmässig Fälle, bei denen sich dann zum Beispiel herausstellte, dass in der Familie Wild gegessen worden war. Doch das ändert kaum etwas an der generellen Schwäche der Kinder. Sie sind viel krankheitsanfälliger, und sie brauchen viel mehr Zeit für die Genesung. Manche sind auch antriebslos und kaum belastbar. Das kann natürlich alle möglichen Ursachen haben, aber es gibt nur ein Gesundheitsthema, das uns allen hier zu schaffen macht: die erhöhte radioaktive Strahlung, selbst wenn sie sich noch innerhalb des vom Staat Erlaubten bewegen mag.»


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Leben auf verstrahltem Boden

Mensch + Energie

Vor dem Hintergrund der aktuellen „Energiewende“-Debatten möchten wir einen kritischen Diskussionsbeitrag leisten für all jene, die mehr wissen wollen zum Thema Energie. Und wir möchten einen Beitrag leisten, die tiefen ideologischen Gräben zu überwinden, die Befürworter und Gegner trennen. Denn die Wahrheit wird bei diesem Thema sehr schnell relativ bzw. relativiert, man bewegt sich auf einem Feld, in dem sich Experten, Meinungsmacherinnern, Ideologen, Betroffene, Opfer, Lobbyisten, Politikerinnen und Weltenretter tummeln. Sie alle sollen zu Wort kommen, sie sollen von ihrer Wahrheit erzählen, der Wahrheit des Strahlenopfers ebenso wie jener des Kraftwerkbetreibers, des Befürworters und der Gegnerin.

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