Marcos Buser, Geologe und Sozialwissenschaftler, Schweiz

«Verblasst unsere Erinnerung an das Atomzeitalter?»

Marcos Buser, Geologe und Sozialwissenschaftler, ist seit über 40 Jahren auf dem Gebiet der Kernenergie und der Entsorgung von Sonderabfällen tätig. Er war Mitglied der EKRA-Expertenkommission für das Schweizer Endlagerkonzept (1999–2002), der Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit (2008–2012) und ist im Bereich der Sanierung von Deponien und Altlasten tätig. Er veröffentlichte zahlreiche Studien zu diesen Themen.

»Ich habe als Titelbild für die Literaturstudie zur Kennzeichnung eines Tiefenlagers die Fotografie einer in Stein gemeißelten, verblassenden Schrift gewählt. Sie erinnert an den Ersten Weltkrieg und die Soldaten an der Schweizer Grenze im Kanton Jura. Verblasst die Erinnerung auch? Die Antwort darauf ist wichtig, wenn es um die Endlagerung insbesondere von hochradioaktiven Abfällen geht. Braucht es eine Warnung für künftige Generationen, damit nukleare Abfälle als solche erkannt werden? Oder vergisst der Mensch ohnehin über die Generationen? Und wenn Letzteres tatsächlich geschieht, wie geht das vor sich? Fragen über Fragen. Die Antworten sind spekulativ.

Doch vorher gilt es zu klären, wie und wo überhaupt endgelagert werden kann. Ich bin dafür, einen Zwischenhalt zu machen und das gesamte schweizerische Entsorgungsprojekt nochmals zu überdenken. Die geologischen Abklärungen für eine Standortwahl müssen davon nicht betroffen sein, denn diese sollten beschleunigt weitergeführt werden. Lagerkonzepte, Zugänge in die Tiefe oder Platzierungs- und Rückholungstechniken aber sind heute nicht ausgereift. Darum sollte jeder Schritt überdacht, überprüft und das Ergebnis nochmals hinterfragt werden. In der Schweiz folgen wir seit 50 Jahren einem Plan, den skandinavische Geologen für ihr Kristallingestein entworfen haben, der aber nicht für Tongesteine wie den Opalinuston entwickelt wurde, der inzwischen als sicherer gilt. Der Nagra-Plan sieht heute außerdem die Tiefenlagerung in großen Behältern vor, die gegen 30 Tonnen schwer und schwierig zu manövrieren sind sowie in 800 m langen Röhren versenkt werden sollen.

Weder bei der Platzierung von Behältern noch bei der Rückholung liegen Erfahrungen vor, wenn man von den Behauptungen in einigen Propaganda-Filmen der Nagra einmal absieht. Eine Schwachstellen- und Risikoanalyse dieser Lagerkonzeption steht ebenfalls aus. Sollte beispielsweise Wasser in die durch den Bau entstandene Auflockerungszone hinter den Stollenwänden im Tiefenlager eindringen, ist nicht klar, was passiert. Werden die Inhalte der Lagerstollen dann wie bei einer Zahnpastatube zusammengequetscht und ausgepresst? Wir sollten nicht das Gestein den überholten Konzepten anpassen, sondern sehr genau untersuchen und herausfinden, was das Gestein verträgt, und uns ihm fügen. Ein Chirurg arbeitet heute mit möglichst kleinen und nicht mehr mit großen Schnitten und mit Materialien, die sich dem Körper anpassen. Genauso minimal-invasiv muss unser Umgang mit dem Gestein sein. Wir sollten die möglichen Varianten prüfen, zum Beispiel, ob nicht sehr viel kleinere und leichter transportierbare Behälter für die Tiefenlagerung geeignet wären. Sie könnten einfacher platziert und bei Bedarf zurückgeholt werden, und die Verschlusstechnik und Dichteprüfung dürfte entsprechend einfacher sein.

Dass die mit der Tiefenlagerung betraute Nagra in der Schweiz möglichst schnell eine Lösung für die Endlagerung haben will, ist verständlich. Auch in anderen Ländern wird ein Zeitdruck aufgebaut. Die Energiewirtschaft muss mit der Kernenergie irgendwann zu einem Ende kommen. Es ist aber abzusehen, dass die Kosten für die Entsorgung explodieren werden. Das spielt jedoch nur eine sekundäre Rolle. Wichtig ist es, dass die Sicherheit der Entsorgung gewährleistet wird, kurz- wie langfristig. Ich habe als Geologe genug Fehlschläge erlebt, wenn es darum ging, Abfall loszuwerden. Es gibt keine konventionelle Deponie, die nicht früher oder später undicht wurde. Die sym- bolträchtige Sondermülldeponie Kölliken im Kanton Aargau ist nur eine der vielen traurigen Hinterlassenschaften unserer Industriegesellschaft. Auch in diesem Fall hat man zunächst nur gespart. Heute kostet die Sanierung solcher Altlasten Unsummen. Das bezahlen wir alle und vor allem unsere Kinder und Kindeskinder. Der Umgang des Menschen mit seinem Abfall ist ein Desaster. Wenn ich noch keine grauen Haare hätte, würden sie mir wachsen, wenn ich daran denke, wie wir Menschen mit unserem Planeten umgehen.«

zum Weiterlesen:

Am besten vergessen

 

Endlager Olkiluoto in Finnland (Bild: Kallerna)

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